Also morgen Donnerstag, nachmittag 3 Uhr läßt die Stadtverwaltung von Luxemburg im Friedensgerichtssaal acht Einfamilienhäuser, die die Baugesellschaft „Progrès“ im Kreuzgründchen errichtet hat, öffentlich „meistbietend“ versteigern. (Wann verschwindet aus unsern Versteigerungsanzeigen endlich das Monstrum „meistbietend“?)
Allerhand Anheimelndes geht von dieser Annonce aus - nur das Wort Friedensgerichtssaal wirkt erkältend, weil nirgends mehr Streit herrscht, als in einem Friedensgerichtssaal. Sonst wäre das ganze Bild aus Sonne und aus Rosen gewoben.
Schon „Einfamilienhaus“ klingt nach Haus und Herd, nach der glücklichen Abgeschlossenheit des Daheims. Nichts von der Promiskuität der Mietkasernen oder auch nur der vertikalen Verärgerungsmöglichkeiten aller Häuser mit Etagenwohnungen. Man könnte von diesem Wort „Einfamilienhaus“ so sentimental werden, daß man sich am liebsten in Schlafrock und Pantoffeln zwischen die glücklichen Leutchen hineinsetzen möchte, die auf dem Titelblatt der „Gartenlaube“ die ideale Familie durch drei Generationen hindurch markieren.
Glücklich, wer von diesen Häusern im Kreuzgründchen sich eins ersteigern kann. Erstens hat ein vorzüglicher Architekt dafür gesorgt, daß sie nicht nur zweckmäßig gebaut und in ihrer Raumverteilung geschickt ausgestaltet wurden, er hat sie auch so gruppiert, daß der Eindruck des Wohnkasernenviertels aufs glücklichste vermieden ist.
Die Hauptsache aber: Die Häuser liegen in der Sonne. Sonne umfließt sie ordentlich, geht von früh bis spät um sie herum, wärmt eine Seite nach der andern, strahlt durch die Fenster in die Herzen, bringt die roten Rosen zum Glühen, die ganz sicher später an all diesen Giebeln hinaufklettern werden.
Ich erinnere mich eines solchen Sonnentages, vor beiläufig zehn Jahren. Der sanfte Abhang, an dem heute die neuen Häuser liegen, flimmerte in der Sonne weiß und rosa, gelb und dunkelrot von hunderttausend Rosen. Und mitten drin stand der ausrangierte Omnibus, den Charles Gemen in Paris gekauft und in seine Rosenfelder von Kreuzgründchen gefahren hatte, als Mittags-Unterschlupf für seine Arbeiter und Arbeiterinnen. Ich träumte in den goldnen Vormittag, daß ich ein fahrender Gesell wäre, der in dem alten Pariser Omnibus wohnen dürfte, mitten in den Rosen von Kreuzgründchen.
Damals dachte noch niemand an Wohnungsnot und daran, daß einmal aus dem alten Pariser Omnibus eine reizende Villenkolonie würde. Aber wenn man schon «Progrès» heißt, nicht wahr?
Wäre ich nicht Diogenes, ich möchte Alexander sein.
Säße ich nicht wohlgeborgen unter Dach bei einem der anständigsten Hausherrn von Luxemburg, ich möchte in einem der neuen Progrès-Häuser im Kreuzgründchen daheim sein.