Original

27. Oktober 1922

Wie mir ein Freund voller Befriedigung mitteilt, hat unser trefflicher Stationsvorsteher Hr. Wutry bei der Eisenbahnbehörde durchgesetzt, daß aus der Empfangsstelle des Bahnhofs die marktschreierischen Reklamen künftighin verbannt bleiben.

Beglückwünschen wir Herrn Watry zu seiner Initiative und seine Verwaltung zu ihrem Einsehen.

Wie soll der Bürger sich davon durchdringen, daß im Leben auch Schönheit ohne Prosit ihren Platz haben muß, wenn nicht die Stellen, die auf die Öffentlichkeit wirken können, mit dem guten Beispiel vorangehen?

Ob unser Bahnhof architektonisch schön oder häßlich, monumental oder nur plump sei, darüber kann man streiten und ist schon gestritten worden. Jedenfalls ist in der Empfangshalle der Versuch gemacht, mit bewährten Formen groß und vornehm zu wirken. Das verdient Achtung. Und der Fremde, der hier ankommt, empfängt jedenfalls einen besseren Eindruck, wenn ihm die Architektur ohne Zugabe entgegentritt, als wenn sie durch breite, knallende Plakate durchzogen und verdeckt wird, die ihn überzeugen wollen, daß diese Kunstbutter und jene Zigarette die besten der Welt sind.

Jede Inschrift auf einem Kunstwerk degradiert es. Stellen Sie sich den „Angelus“ von Millet als Kartoffelreklame vor, den Horizont vergittert mit der frivolen Behauptung, Prinzessin Yolanda sei die Königin der Kartoffeln! Grützner’s „Pater Kellermeister“ hat allen Kunstwert - wenn es welchen besaß - durch die aufgedruckte Reklame für das Augustinerbräu eingebüßt. Jede Beanspruchung fürs Geschäft prostituiert im selben Augenblick das Kunstwerk, das von ihr mißbraucht wird. Kunst und Geschäft sind Feuer und Wasser.

Überlassen wir der geschäftlichen Marktschreierei - oder Gerissenheit, denn es gibt auch geschickte Reklame - die Öffentlichkeit, die auf Schönheit keinen Anspruch macht. Es stört mich gar nicht, daß jeder Trambahnwagen mir von Tipsy oder Cubox redet. Das geht vorüber. Und ich habe auch nichts dagegen, daß sich der Bretterverschlag an einem Neubau entlang mit farbigen Reklamen bedeckt. Im Gegenteil, es ist amüsant, an dieser Reihe von Firmen vorbeizugehen, die Dir jede stumm ihr Produkt wie in einem Butterkorb entgegenhalten, ohne Dich weiter zu belästigen.

Aber Reklamen, die sich breit machen, wo von Haus aus auf andere Wirkungen abgezielt ist, die sollen verpönt bleiben. Die Kirche erlaubt ja auch nicht, daß von den Wänden und Pfeilern ihrer Tempel die Händler ihre Waren anpreisen. Denn sie will, daß dort Schönheit herrsche, Schönheit nach ihrem Sinn, die nicht immer Schönheit nach landläufiger Auffassung zu sein braucht. Denn manche Dorfkirche ist von ihrem gottverlassenen Pastor mit Scheusälern so vollgepfropft, daß wahrhaftig manche Seifen- und Champagnerreklamen ästhetischer wirken würden. Aber im Prinzip ist es auf Schönheit abgesehen, die der Andacht als fördersamer Hintergrund dienen soll, und darum bleibt die Reklame verbannt, obgleich sie vielleicht in der Kirche mit am meisten auf Erfolg rechnen könnte. Denn nichts prägt sich der Mensch so tief ein, wie die Eindrücke, die er während einer Stunde der Langweile empfängt.

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KatalognummerBW-AK-010-2252