Original

12. November 1922

Im politischen Leben Frankreichs ist zurzeit das Frauenstimmrecht an der Tagesordnung. Freunde und Gegner bekämpfen sich mit den Waffen, die wir aus allen früheren Feldzügen zur Genüge kennen. Nur ein Argument, das die Parteigänger des Frauenstimmrechts ins Feld führen, scheint mir neu und originell.

Das „Journal“ hatte kürzlich in der Frauenwelt eine Rundfrage über die brennende Frage veranstaltet. 224 155 französische Bürgerinnen antworteten mit ja, nur 1288 mit nein. Jede Antwort mußte nach den Bedingungen des Referendums begründet sein.

Wie haben nun die Frauen, die für sich das Stimmrecht verlangen, ihre Forderung begründet?

„Unsere Leserinnen - teilt das „Journal“ mit - erklären uns, sie wollen das Wahlrecht ausüben, um die Ausarbeitung von sozialen Gesetzen zu beschleunigen, um die Tuberkulose zu bekämpfen, den Alkoholismus einzuschränken, den Kriegen ein Ende zu machen, gegen die Entvölkerung zu kämpfen usw.“

Im selben Sinn schreibt G. Téry im „Oeuvrè“: „Die große Staatsangelegenheit ist die Gesundheit. .... Die erste Sorge einer Regierung, die dieses Namens würdig ist, muß dahin gehen, die öffentliche Gesundheit zu fördern. Der Rest ist nur aufgeregter Schwatz. Nun gut, sehen Sie sich die Sterblichkeitsziffer in den Ländern an, die das Frauenstimmrecht haben. Sehen Sie, was sie für die Hygiene und die Bevölkerungszunahme getan haben! Wenn das Frauenstimmrecht nur diese Vorteile böte, sie wären genug damit es sich aufdrängte.“

G. Térn geht also nicht so weit, wie das „Journal“, das im Frauenstimmrecht auch ein Mittel gegen fernere Kriege sieht und dabei vergißt, daß beim Ausbruch des letzten Krieges grade der Frauenwelt sich stellenweise eine megärenhafte Kriegsbegeisterung bemächtigt hatte.

Darin sind sich beide einig, daß sie vom Frauenstimmrecht eine Besserung der Volksgesundheit und eine Hebung der Geburtenziffer erhoffen.

Niemand zweifelt daran, daß eine Besserung der hygienischen und gesundheitlichen Verhältnisse eines Volkes in der Hauptsache nur durch praktische Mitwirkung der Frau zu erreichen ist. Die öffentliche Hygiene ist letzten Endes nur private Hygiene, es hilft nichts, daß der Göttin Hygieia auf Straßen und Plätzen geopfert wird, wenn in den Familien das Molto Dreck und Speck und Sauerkraut herrscht. Aber man darf sich fragen, ob die Frau dieser Sendung nicht ebenso gut gewachsen ist, wenn sie nicht von Zeit zu Zeit gezwungen wird, einen halben Tag lang Haus und Herd im Stich zu lassen, um „zur Urne zu schreiten“.

Ferner: Die Frau, die das politische Wahlrecht besitzt, soll dadurch instand gesetzt werden, an der Hebung der Geburtenziffer mitzuwirken?

Ich habe immer gehört, daß die Politik die Frau vom Familienherd eher abdrängt, als umgekehrt. Politisierende Frauen sind selten das gewesen, was der Sprachgebrauch als „zahlreiche“ Familienmütter bezeichnet.

Man sollte es endlich aufgeben, das Frauenwahlrecht mit solch wohlgemeinten, aber komischen Argumenten plausibel machen zu wollen. Die Frau hat nicht als Frau, sondern als Mensch Recht auf den Wahlzettel, das allein ist ausschlaggebend. Zu welchen Konsequenzen die Ausübung dieses Rechtes führt, das darf uns nicht kümmern, wenn die angeborenen Rechte einer Hälfte der Menschheit auf dem Spiel stehen.

Da wir zu den Ländern gehören, in denen die Frauen mit dem Wahlzettel für ihre Ideale zu kämpfen berufen sind, könnten wir uns also darauf gefaßt machen, daß sich in absehbarer Zeit in der Sozialgesetzgebung, in der Bekämpfung der Tuberkulose und des Alkoholismus und in der Zunahme der Geburtenziffer Vieles zum Bessern wenden wird.

In Amerika sollen es ja auch die Frauen - und die Greise - gewesen sein, die den Teufel Alkohol mit einem gewaltigen Schwung zur Türe hinaus geworfen haben, während die Sammies in den A@nnen kämpften.

Leider stellt es sich jetzt heraus, daß der Teufel Alkohol durch tausend Hintertürchen sich wieder eingeschlichen hat und man gezwungen sein wird, mit ihm zu paktieren.

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  • France: female suffrage
KatalognummerBW-AK-010-2264