Original

14. November 1922

Eine Pariser Zeitung stellte kürzlich die Frage, ob ein Schriftsteller außer seinem Beruf als solcher noch einen andern Beruf haben soll.

Die mannigfaltigsten Antworten gingen ein. Die einen sagten: Ja, damit der Mann nicht verhungert. Die andern sagten: Nein, damit er nicht verknöchert. Andere meinten, die Frage sei von Fall zu Fall zu lösen.

Es gilt in unserer heutigen Gesellschaft als ausgemacht, daß jeder Mensch entweder einen Beruf oder Renten haben muß. Das unzulässige Dritte ist der Zustand der Landstreicherei.

Wenn also das Schriftstellern für jemand ein wirklicher Beruf ist, so hat er der Forderung der Gesellschaft genügt und er braucht sich nebenher nicht mit Weinhandel zu beschäftigen. Es fragt sich nur in seinem eigenen Interesse, ob er von diesem Beruf leben kann. Wenn nicht, so ist er es wiederum erstens der Gesellschaft und zweitens sich selber schuldig, daß er sich nach einem weiteren Gelderwerb umsieht.

Nun gibt es aber Formen der Schriftstellerei, die dem Begriff des Berufes, wie er hier verstanden wird, keineswegs entsprechen. So zum Beispiel kann man es nicht als einen Beruf im Sinn des gewöhnlichen Sprachgebrauchs bezeichnen, wenn ein junger Mann lyrische Gedichte macht. Ein jeder junge Mann macht zwischen siebzehn und zwanzig Jahren lyrische Gedichte. Das ist eine Pubertätserscheinung, aber kein Beruf. Eine Visitkarte mit „Johann Nepomuk Wiesengrün, lyrischer Dichter“ ist ebenso wenig wahrscheinlich, wie eine andere mit „Amandus Süßholz, Verliebter“. Die Tätigkeit des lyrischen Dichters wird noch nicht dadurch zum Beruf, daß er seine Gedichte drucken läßt. Ob lyrische Gedichte heutzutage noch gedruckt werden, das hängt von der Eitelkeir des Dichters und der Einfalt oder Geschäftstüchtigkeit des Verlegers ab Beim lyrischen Dichter würde ich also die Frage, ob er nebenher einen Beruf ausüben soll, unbedenklich bejahen. Die lyrischen Dichter selbst scheinen von jeher derselben Ansicht gewesen zu sein, man konnte sogar bei ihnen eine Vorliebe für bestimmte Berufe feststellen, wie Rechnungskammerrat, Unterrichtsminister und andere Stellen der höheren Gehaltsstufen, wofern damit nicht viel Arbeit verbunden war.

Der Pariser Kollege hat seine Rundfrage offenbar aus Sympathie und Interesse für die Schriftsteller aufgeworfen. Er betrachtet es als Hauptsache, daß die Tätigkeit des Schriftstellers nicht beeinträchtigt wird. Was dabei aus dem Nebenberuf wird, scheint ihn weiter nicht zu kümmern. Er ist zweifellos der Ansicht, daß auch im Interesse des lesenden Publikums der Flug des schriftstellernden Genies nicht behindert werden darf.

Darin geht er meines Erachtens zu weit. Das Publikum verdient eine solche Rücksicht nicht, denn es hat auch keine Rücksicht für die Schriftsteller. Der Mann aus dem Publikum kauft keine Bücher, er leiht sie bei Bekannten und leiht die geliehenen an andere Bekannte weiter. Es geschieht ihm also sein Recht, wenn ein Buch, das die Welt umwälzen könnte, schließlich ungeschrieben bleibt, weil derjenige, der es schreiben könnte, acht Stunden täglich in einem Büro arbeiten muß.

Man könnte nun die Frage auch umdrehen: Darf jemand, der einem bürgerlichen Beruf angehört, im Nebenamt dichten?

Ich weiß nicht, wie seinerzeit die Kunden des Hans Sachs über seine Tätigkeit als Dichter dachten und ob seine Schuhe besser oder schlechter waren, als seine Gedichte. Ich neige da zu einer weitherzigen Auffassung. Denn ich bezweifle, ob einer, der z. B. als mittelmäßiger Schulmeister dito Gedichte macht, ein besserer Schulmeister würde, wenn man ihm das Dichten verböte, und ob andrerseits seine Gedichte besser würden, wenn er nicht mehr Schule zu halten bräuchte.

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