Original

15. November 1922

Eine Birne und ein Apfel lagen nebeneinander in dem nassen Novemberrasen. Der Nachtwind hatte sie heruntergeweht und in der Frühe hatte der Reif sie mit einem weißen Schmelz überzogen, den jetzt die Vormittagssonne fortleckte.

Die beiden gerieten bald in ein Gespräch. Der Apfel sagte:

„Da liegen wir nun friedlich Seite an Seite und Sie denken sich sicher nichts dabei.“

„Was soll ich mir viel dabei denken?“

„Wir repräsentieren doch zu uns zwei beiden sozusagen das geheimnisvolle Prinzip, das die Welt in zwei Hälften schlichtet, Männlich und Weiblich. Ich bin das ewig Männliche, Sie das ewig Weibliche.“

„Da sind Sie was Rechtes!“ sagte schnippisch die Birne.

„Bin ich auch!“ sagte mit beleidigtem Stolz der Apfel. „Ich habe die Ehre, als Symbol des folgenschwersten Ereignisses der Menschheitsgeschichte in der Bibel zu stehen. Wie wäre allein schon das alte Testament verschandelt, wenn Eva dem Adam eine Birne statt eines Apfels gereicht hätte!“

„Eva wollte nicht, daß die Birne, die Sie selbst unter das weibliche Prinzip einreihen; als Sinnbild der männlichen Dummheit in die Geschichte käme, darum hat sie damals mit einem Apfel operiert. Schmackhafter wäre jedenfalls eine Birne gewesen.“

Dagegen der Apfel: „A propos Symbol: Sie kennen doch den Reichsapfel? Haben Sie je von einer Reichsbirne gehört? Ich bitte Sie, wie klingt denn das?“

„Den Reichsapfel kenne ich. Aber auch den Roßapfel. Und es war eine geistreiche Frau, die die Variante gefunden hat: Der Apfel fällt nicht weit vom Roß.“

„Über solche Geschmacklosigkeiten sind wir Äpfel erhaben. Unsere Stellung in der Geschichte, Literatur, Gesellschaft usw. ist unanfechtbar. Schon der bloße Versuch, eine von Ihnen an unsere Stelle zu setzen, wirkt komisch. Über einen Wilhelm Tell, der nach einer Birne schösse, würde man sich kugeln. Tells Birnenschuß! Das knirscht unter den Zähnen.

Die Birne. „Das hängt nur mit unserer Form zusammen. Wir stehen dem Ei des Columbus näher, als dem Apfel Wilhelm Tells. Wir bleiben auf keinem Scheitel stehen, weil wir spitz zulaufen. Ihr seid rund, das heißt formlos, denn alles Flüssige, Unbeständige, das sich im Raum selbst überlassen bleibt, wird unweigerlich rund. Wir haben eine Form, die etwas bedeutet. In ihr prägt sich ein Naturgesetz aus. Und ein Dichter hat uns mit der Träne verglichen, mit dem Erhabensten, das es gibt. Die Träne ist das Destillat aller stärksten Gefühle.“

Der Apfel: „Und mit welcher Verachtung spricht von Euch ein andrer Dichter! Kennen Sie nicht das Gedicht von Freiligrath in dem ein Türke, der auf einer Münze den Kopf Napoleons steht, von ihm wegwerfend sagt: Sein Haupt gleicht einer Birne! Und Uhland. Wie herrlich besingt er den Apfelbaum als wundermilden Wirt -, ein goldner Apfel war sein Schild - An einem langen Aste! Wo hat sich Uhland je in ähnlicher Weise über einen Birnbaum geäußert? Der Begriff des Dichterischen, der uns natürlich anhaftet, verträgt sich mit Euch in keiner Weise. Ihr seid das Bild der krassen Materialität. Das einzige Gedicht, das je auf Euch gemacht wurde, ist der hessische Spruch: „Mir esse Bern, mir trinke Bern, - Mer han auch Bern uf’s Brot zu schmern.“ Nach Äppelwoi leckt sich der Sachsehäuser den Schnurrbart, Birnentrank ist ihm ein Purgiermittel. Schönheit ist unser Erbteil, wo mit einem Obst verführerisch gewirkt werden soll, ist es immer ein Apfel, im Paradies und im Schneewittchen.“

So redete der Apfel noch eine Zeit lang weiter, und der Birne, so mundfertig sie war, verschlug es die Rede.

Da kam eine schöne junge Frau durch den Garten, die bückte sich, hob die Birne auf und ließ den Apfel liegen.

Denn die Birne war süß und saftig und fruchtig und duftig, sie ließ sich weich und willig zwischen Zunge und Gaumen zerdrücken. Sie war das ewig Weibliche.

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KatalognummerBW-AK-010-2266