Original

22. November 1922

Ein paar Bekannte saßen kürzlich um einen runden Cafétisch und sprachen von alten Zeiten. Von den Zeiten, wo überall im Lande die politischen Keimzellen sich zu spalten begannen und wo zum ersten Mal eine Parteibezeichnung nach Farben stattsand.

Damals gab es überall, in Mersch, in Remich in Fels und wahrscheinlich auch in Schlindermanderscheid die Roten und die Schwarzen. Der Farbenunterschied setzte sich bis in die unpolitischsten Angelegenheiten fort, meist sogar begann er unpolitisch und führte mit der Zeit zur politischen Wertung. Es gab rote und schwarze Blechmusik, rote und schwarze Gesang-, Turn- und Pomptersvereine, ehe es rote und schwarze Parteien in politischem Sinne gab. Rot und schwarz waren weit von ihrer heutigen Bedeutung: sozialistisch und klerikal, entfernt. Die Roten waren freilich in der Regel die Aufsässigen, die Unruhigen, die Neuerer und Sezessionisten. Denn rot ist Leben, ist Blut und Feuer, schwarz ist Tod, Ruhe, Sattheit.

Wo sind jene friedlichen Zeiten hin, wo rot und schwarz allen Unfrieden im Land umspannten, wo man in der Hauptsache einig war und wegen Lappalien sich die Köpfe blutig schlug, die Zeitungen voll schmähte, Preßprozesse und andere führte und sich schließlich beim Glase Wein wieder vertrug, wenn man sein Mütchen gekühlt hatte oder wenn der rote Hary die schwarze Mary gefreit hatte und die früheren Todfeinde zu Gevattern und Freunden geworden waren!

Heute ist das Land voll Parteien, wie ein Vogelhaus voll Vögel, und jeder zirpt seine Weise, und wenn alle nach Farben benannt werden sollten. würde ein ganzer Regenbogen nicht hinreichen.

Robert de Jouvenel - der als französischer Offizier im Dezember 1918 unsere Revolution im Glase Wasser aus nächster Nähe mit ansah - stellt im «Oeuvre» von gestern über die Parteien allerhand Betrachtungen an, die auch bei manchem luxemburger Politiker heiteres Interesse erregen werden. Der Pariser Kollege findet es merkwürdig, wie sich die Parteien gegenseitig zu ihren Programmen verhalten. Wie oft kommt es vor, daß sich - sagen wir einmal die Roten beklagen, weil ihnen die Schwarzen ihr Programm gestohlen hätten. Sie sollten sich doch im Gegenteil darüber freuen, denn ihr Daseinszweck ist ja die Durchsetzung ihres Programms. Umgekehrt machen sich die Schwarzen über die Roten lustig, weil diese sich durch nichts in ihrem Programm mehr von den andern Parteien unterscheiden, während sie doch die Roten dazu beglückwünschen sollten, daß sie alle Parteien zu ihrem Programm bekehrt haben.

Das erinnert daran, wie es bei der Verfassung von Wahlprogrammen manchmal zugeht, wie sorgfältig die Forderungen, mit denen man vor die Wähler zu treten gedenkt, vor allen Gegnern und Konkurrenten geheim gehalten werden. Man könnte dabei auf den Gedanken kommen, daß für die Partei nicht die Verwirklichung dieser Forderungen, die doch sämtlich im Interesse des Landes aufgestellt werden, die Hauptsache ist, denn sonst müßte man auch die Gegner dafür zu gewinnen suchen. Die Haupfache ist die Stärkung der Partei, und was bezweckt sie mit ihrer Stärkung? Eben die Durchsetzung ihrer Forderungen, für deren Durchsetzung sie auf der andern Seite das probateste Mittel, die Bundesgenossenschaft der Gegner, verschmäht. Das ist ein merkwürdiger Circulus viciosus, wenn es sich am Ende nicht so verhält, daß jede Partei noch einen besondern Zweck hat, den sie verheimlicht und den sie nur erreichen kann, wenn sie die stärkere ist und bleibt.

Tja, tja, es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen die Weltweisheit der Roten und Schwarzen dazumal noch nichts ahnte, Ho damals die Regierung alles noch allein

Heute zwar auch, aber die Parteien g sie dabei helfen.

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  • pols: parties red vs black
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