Der nächste Sonntag wird also für uns einer der Tage sein, die in unsern Geschichtstafeln anzustreichen sind.
Von Sonntag ab tritt bei uns der Wählfernsprecher in Kraft. Er hat zum Glück nichts mit den Wahlen zu tun. Das Wählen bezieht sich darauf, daß Du Dir am Apparat die Nummer, die Du anrufen willst, selber zusammensetzen kannst. Du bedarfst also, um jemand telephonisch zu behelligen, nicht mehr der Vermittlung eines Telephonfräuleins.
Die Verwaltung hat zur Einführung des Systems den Sonntag wahrscheinlich deshalb gewählt, weil Sonntags die Geschäfte ruhen und nicht gleich am ersten Tag ein Run entstehen kann. Die Verwaltung hat vielleicht recht, vielleicht auch nicht. Wenn am Sonntag schlechtes Wetter ist, so wird sich jeder Teilnehmer die Zeit mit dem neuen System vertreiben. Die Frau Useldinger wird probieren, wie es mit der Frau Greiveldinger geht; geht es gut, so probiert sie auch noch mit der Frau Medinger; geht es schlecht, so wird sie die Frau Götzinger und die Frau Bürmeringer anwählen, um zu versuchen, ob es da nicht besser geht. Und so weiter, bis es Zeit ist zum Vieruhrkaffee.
Am Montag morgen wird man dann den Chef des Telephonamtes auf dem Speicher seines Hauses erhängt finden, und die Telephonfräulein, die durch das neue System verdrängt wurden, werden hochmütig-elegische Mienen zur Schau tragen, die ausdrücken: „Da habt Ihr’s nun! Wen werdet Ihr in Zukunft anranzen, wenn es nicht klappt? Wer wird Euch Mut zusprechen, wenn Ihr dreimal nacheinander die falsche Verbindung bekommt, oder gar keine? Wem könnt Ihr jetzt am Fernsprecher, wenn es Euch mitteilsam ums Herz ist, guten Morgen wünschen? Ihr habt so oft über uns geschimpft, Ihr werdet uns noch bitter entbehren!“
Sie haben recht. Nichts fehlt dem Menschen so sehr, wie wenn er niemand hat, über den er schimpfen kann. Also meine lieben Telephonfräulein, deren Stimmen wir nie mehr hören werden, wir leisten Euch Abbitte und nehmen gerührt von Euch Abschied.
Ihr wart für uns etwas Seltsames, Unkörperliches, eine Stimme und eine Stimmung. Eine liebe oder unliebe Stimme, eine gute oder schlechte Laune Je nach Eurer Stimme oder Laune bildeten wir uns ein, Ihr wäret unsere Freundin oder unsere Feindin, die, die uns jede Verbindung mit Liebe und Sorgfalt herstellte, oder die, die uns boshafterweise immer falsch oder gar nicht verband, mitten im Gespräch trennte und uns zur Strafe eine halbe Stunde klingeln ließ, um uns dann anzufahren, weil wir ihr ins Ohr geweckt hätten. Ihr wart für uns je nach Stimme und Laune die Blonde oder die Braune, die Hübsche oder die Garstige, die Dicke oder die Schlanke, die Alte oder die Junge, ohne daß wir Euch je gesehen hatten. Vielleicht hatten sich unsere Wege gekreuzt, ohne daß wir es wußten. Auf den Hamsterfahrten im Krieg war ja alles möglich.
Und nun müssen wir von Euch Abschied nehmen. In der ganzen Öde des Naums, zwischen uns und dem andern Ende, wo ein anderer Mensch stehen soll, wird nichts Lebendiges mehr sein, keine Infel, an der wir anlegen können, wenn das feste Land zu lange auf sich warten läßt. Wir müssen den Sprung ins Leere wagen, wie mit einem Fallschirm Und antwortet niemand, so hängen wir im Raum, hülflos und ohnmächtig.
Vor zwanzig Jahren schrieb ich hier: „Unsere Landsmänninnen sollen sich freuen, wenn es noch recht lange dauert, bis sie ihren Einzug in die Folterkammer der Telephonzentrale halten dürfen.“
Inzwischen haben sie ihren Einzug gehalten. Und nun werden sie durch die Technik entthront. Aber hoch erhobenen Hauptes dürfen sie zum Tor hinaus schreiten, stolz und froh in dem Bewußtsein, daß es eine Grenze gibt, über die hinaus die Technik den Menschen nie wird ersetzen können.