Original

25. November 1922

„Kommen Sie!“ sagte der alte Luxemburger und zog mich eifrig an der Hand mit sich fort.

Es war gegen sechs Uhr abends, wir kamen grade zusammen aus der Post und sprachen über die mangelhofte Beleuchtung.

„Kommen Sie!“

Er führte mich über den Königsring an die Neue Brücke und ein kleines Stückchen weiter die MarieTheresien-Avenue entlang.

„Sehen Sie sich das an!“ sagte er begeistert, mit einem Schwung des Armes, der von Hamm bis nach Cessingen reichte. „Hier ist die Stelle, an der ich am stolzesten bin, ein Luxemburger zu sein, und zwar zwischen 5 und 7 Uhr abends, in den Wintermonaten.“

Der Anblick war allerdings überraschend. Man konnte für unsere Verhältnisse schon von einem Lichtmeer reden. Haben Sie nie um Weihnachten mit Ihrem kleinen Jungen oder Mädchen jene Pappdeckel-Lampenschirme geklebt, die Schweizer Landschaften mit Sennhütten oder Städte mit Palästen darstellen? Das Lampenlicht scheint von innen durch die Fensterscheiben, und es ist eine wahre Pracht, sagen die Kinder. Genau wie so ein weihnächtlicher Lampenschirm sah die Gegend jenseits der Brücke aus. Die Sparkasse, die Eisenbahnverwaltung, der „Unfall“, die Druckerei Huß und im Hintergrund die „Arbed“, alle strahlten um die Wette aus allen Fenstern, und über die Neue Brücke bis weit hinaus an den Bahnhof liefen die zwei Perlenreihen der Straßenlaternen, immer näher zusammen und immer dichter aneinander. Und die Zwillingssonnen der Automobile glitten dazwischen ab u. zu und spritzten ihr Licht dem Beschauer ins Auge und rundherum in das Dunkel des Tales, und mein alter Luxemburger sah mich von der Seite an und trumpfte auf: „Na?“

Ich konnte nicht anders sagen, es war ein eindrucksvoller Anblick. Indes ich nahm umgekehrt jetzt ihn bei der Hand, zog ihn wieder zurück bis an den Brückenkopf, drehte ihn an den Schultern in die Richtung des Königsrings und sagte: „Was sagen Sie denn nun?“

„Na ja, alles kann man nicht überall haben. Es ist doch schon alles Mögliche, daß wenigstens der Zugang zur Stadt anständig beleuchtet ist. Lassen Sie bessere Zeiten kommen ...“

Wir gingen am Park vorbei, wo der Weg wie durch ein Tintenfaß führte. Ein Lichtblick war am Konvikt die ewige Lampe, die nun schon seit berläufig einundfünfzig Jahren ununterbrochen ihr burgunderrotes Licht leuchten läßt. Ganz in der Ferne blinzelte eine Laterne am Eingang zur Wilhelm-Avenue. Als wir diese erreicht hatten, sahen wir zirka dreihundert Meter weiter eine zweite Laterne blinzeln@ schlugen den Weg über die Wilhelm-Avenne e@ auf dem Fahrdamm, der alte Luxemburger auf@ Asphalt-Trottoir, das an den drei großherzog@ Häuschen vorbeiführt.

Wir waren zirka zehn Meter weit gekommen@ der alte Luxemburger plötzlich vornüber geneig@ laufen anfing, wie verrückt. Als wäre ein Ka@ oder eine Ratte unter seinen Füßen aufgespr@ und er wollte sie einfangen. Immer schneller hä@ die Beine, immer weiter neigte er sich vornüber, @ streckte er beide Hände aus, warf sich langgest@ über seine Beute, daß Hut und Stock im Bogen @ flogen

„Haben Sie das Biest?“ frug ich.

„Hol der Teufel Sie und alle Biester, d@ solchen Zuständen schuld sind!“ fluchte er los. „@ Skandal!“

Er ging aufgeregt ein paar Schritte zurück @ zeigte mir im Trottoir einen handbreiten S@ Auf der einen Seite war durch die Wurzelkraft e@ daneben stehenden Linde der Asphalt in die @ gedrückt, sodaß mitten auf dem Bürgersteig @ richtige Stufe entstanden war. Wer darauf nicht@ geübt ist, muß unbedingt darüber stolpern, sch@ hellen Tag, wenn er nicht auf seiner Hut ist @ jetzt war es so stichdunkel, nur das Geloder@ Hüttenwerke hinter den Bergen im Südwesten @ hauchte die Gegend zuweilen mit einer sanften @

„Jetzt pfeif ich auf das Lichtermeer,“ drummte@ alte Luxemburger, während er sich Hände, Ärmel@ Knie wütend abklopfte. „Sie können froh sein @ ich mir nichts gebrochen habe, ich hätte sie ge@ ihre Trottoirs in Ordnung halten und ihre St@ ordentlich beleuchten!“

Ginge es nicht auch ohne Schadenersatzprozeß?

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KatalognummerBW-AK-010-2274