Original

28. November 1922

Der „Trier. Volksfreund“ geht in folgenden Zeilen auf den unflätigen Brief ein, den kürzlich ein Winzer aus Wormeldingen von seinem interimistischen Hottenträger aus Trier bekommen hatte und der an dieser Stelle abgedruckt war:

„Unlängst brachten einige Blätter im Luxemburgischen den Brief eines „Preiß“, worin dieser Klage führt über die Behandlung seitens eines Arbeitgebers daselbst. Ohne auf die Sache selbst einzugehen, muß festgestellt werden, daß Ausdrucksweise und Ausführungen maßlos und verletzend sind, und sich als das Machwerk eines recht ungebildeten jungen Menschen charakterisieren. Auch der Schule kaum Entwachsene mißbrauchen vielfach das ihnen entgegengebrachte teilnehmende Mitleid und schädigen so brave und wirklich bedürftige, dankbare Mitmenschen. Damit ist dem Deutschtum und den dort lebenden Deutschen am wenigsten gedient. Es ist leicht begreiflich, daß dann gegen solche Elemente und auch gegen so viele „diebische Elstern“ Ausweisungsbestimmungen in Aussicht gestellt werden. Jedenfalls wäre es besser, wenn solche Elemente sofort dem Strafrichter übergeben würden und solche Briefe nicht weiter veröffentlicht würden. Dem freundnachbarlichen Verkehr ist damit nicht gedient, und solche Rohlinge sind Gott sei dank doch nur Ausnahmen.“

Hat es Zweck, dem Trierer Kollegen nochmals zu sagen, wo der Schwerpunkt-liegt? Das Maßlose und Verletzende in der Ausdrucksweise des aufgebrachten Briefschreibers war nicht ausschlaggebend. Einfache Menschen reagieren ja von Natur aus auf jedes wirkliche oder vermeintliche Unrecht koprotalistisch. Uns hier frappierte vor allen Dingen die Anspielung auf Belgien und die Drohung, daß man uns bei dem nächsten „letzten“ Krieg das Schicksal Belgiens bereiten will. Nun wäre es interessant, zu erfahren, ob in Deutschland diejenigen, die noch an die Fabel von dem belgischen Karnickel, das angefangen hat, glauben, auch „Gott sei dank nur zu den Ausnahmen gehören“. Oder bricht sich drüben die Überzeugung Bahn, daß ein Krieg, der mit zwei ungeheuerlichen, offen eingestandenen Rechtsbrüchen und mit dem bequemen Schlachtruf „Not kennt kein Gebot!“ beginnt, auf keine große Popularität vor dem Kulturgewissen und dem Rechtsgefühl der zivilisierten Welt rechnen kann, und daß, wenn er verloren geht, der Besiegte es schwerer hat, das Mitgefühl der Zuschauer zu erregen, als es bei einer fairen. Kriegführung der Fall gewesen wäre? Immer wieder wird man an das Bild von der europäischen Kameradschaft erinnert, aus der sich Deutschland mit egoistischem Eigenbrödlertum hinausstehlen wollte.

Indes, dem Trierer Hottenträger verzeiht jeder gerne seinen naiven Erguß. Nachdenklicher stimmt es schon, wenn man von Angehörigen gebildeter Kreise liest, daß sie grade „das treffliche Buch ihres Kaisers mit glühendem Interesse“ lesen. Die haben leider nichts vergessen und nichts hinzugelernt. Der fiktive Wohlstand der Vorkriegsjahre ist ihnen identisch mit Kaisertum und dieses mit Wilhelm II. Er ist ihnen noch immer der Held der berüchtigten Aussprüche: „Und nun wollen wir sie dreschen!“ und „Der Krieg wird umso kürzer sein, je grausamer er geführt wird.“

Das deutet auf dieselbe Gesinnung wie „Not kennt kein Gebot!“ und in weiterem Sinn auch der Brief des Trierer Hottenträgers. Es deutet auf das Fehlen von Hemmungen, ohne die eine Einschaltung in die kulturelle Solidarität Europas nicht denkbar ist.

Hoffen wir mit dem „Trierer Volksfreund“, daß „solche Rohlinge Gott sei dank doch nur Ausnahmen sind“.

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KatalognummerBW-AK-010-2276