Original

2. Dezember 1922

„Ich muß Dir was erzählen,“ sagte mein Freund. „Ich komme von dem Sterbebett meines alten Försters, Du kanntest ihn ja?“

„Der alte Thomas! Ist er tot?“

„Jawohl. Ich kam eine Minute zu spät, ich hätte ihm sonst die Augen zugedrückt.“

„Schade um ihn. Er war ein guter Kerl und sicher ein vortrefflicher Förster.“

„Beides. Und ein saftiges Exemplar von Mensch. Er nahm nie ein Blatt vor den Mund. Wenn er einen Span gegen einen hatte, so sagte er es ihm ohne Umschweife vor den Kopf.“

„Ich mochte ihn gern. Und in seinem Beruf machte er eine treffliche Figur, er gehörte in den Wald, wie hinein gemalt.“

„Und der Schrecken aller Wilderer.“

„Und eine ehrliche Haut.“

„Und nüchtern und haushälterisch.“

„Ein vorzüglicher Familienvater.“

So sangen wir um die Wette das Lob des alten Thomas, der in seinem Försterhäuschen am Waldesrand still auf der Bahre lag.

„Seit wann war er bei Dir im Dienst?“

„Ich hatte ihn von meinem Vater überkommen, als jungen Forstgehilfen, und dann ist er dageblieben, hat geheiratet, hat auch etwas vor sich gebracht, seine Witwe hat zu leben.“

„Ich weiß,“ sagte ich. „Du hast ihm damals die Aussteuer geschenkt, damit er heiraten konnte, denn seine Braut war arm, wie eine Kirchenmaus. Und Du hattest immer für ihn die Hand in der Tasche, Du hast ihm das Geld für sein Häuschen zinslos vorgestreckt ......“

„Genug. Woher weißt Du übrigens?“

„Der alte Thomas hat mir alles einmal abends bei einem Glas Grog erzählt.“

„So so. Er machte sich also klar ....“

„Was?“

„Ich meinte nur. Das wollte ich Dir ja erzählen. Also ich komme von seiner Witwe. Er war grade im Herrm entschlafen. Sie fügte mir unter Tränen die ganze Geschichte seiner Krankheit zu, wie er schon seit der letzten Treibjagd immer gesagt hatte, es sei etwas mit ihm nicht in Ordnung. Und bis zu seinem letzten Atemzug habe er immer von mir gesprochen. Nun ist mir nichts so zuwider, als wenn jemand, dem ich vielleicht einmal gefällig sein konnte, immer wieder davon anfängt und ein Aufhebens macht, als hätte ich ihm das Leben gerettet.

„Was der alte Thomas hatte, verdankte er schließlich Dir.“

„Warte. Also seine allerletzten Worte seien für mich gewesen. Und dabei sah mich die Frau vorwurfsvoll mit ihren nassen Augen an. Was er denn gesagt hätte, fragte ich. Sie wollte erst nicht recht mit der Farbe heraus. Dann entschloß sie sich: „Ja, Herr, er hat noch einmal die Augen aufgeschlagen und noch einmal Atem geholt und dann hat er gesagt: Jetzt habe ich doch über fünfzig Jahre der Familie treu gedient, und er hat mir noch nicht einmal die Pfeife geschenkt. die er mir zu Niklaus vor sieben Jahren versprochen hatte! Und dann hat er sich gestreckt und da war er hinüber.“

Moral: Eine versprochene Pfeife, die Du nicht schenkst, gilt mehr, als tausend Wohltaten, die Du erwiesen hast.

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KatalognummerBW-AK-010-2280