Jawohl, Gnädigste, es ist wahr. Wir haben uns eine französische Kanone ausgebeten, um den erwarteten Prinzen einzuschießen. Es ist Munition für 206 Schuß mitgekommen, desgleichen die französische Bedienungsmannschaft. Unsere Soldaten sind eingeübt und werden die Schüsse abgeben. Die Kanone wird auf dem „Geißknäppchen“ aufgestellt. Und die Regierung hat einen Preis ausgeschrieben für einen neuen Witz, den sie in Paris Brüssel oder Berlin auf unsere Kanonen, unsere Flotte oder die sieben Gendarmenpferdesättel erfinden, die Staatsminister Thilges selig einmal bei der Kammer angefordert hatte.
Warum wir eine fremde Kanone für dies nationale Ereignis brauchen?
Sehr einfach, Gnädigste. Unsere fünf alten Bronzegeschütze sind heute wie griesgrämige Greise, die nicht mehr in die Ferne wirken und sich darum an ihrer Umgebung schadlos halten. Sie sind gegen eventuelle Feinde ohnmächtig, aber es kann sein, daß sie beim nächsten Schuß den Kanonieren unter den Händen platzen und dann haben wir für einen lebendigen Prinzen gleich ein paar tote Soldaten. Um uns das zu ersparen, haben wir um Überlassung des französischen Geschützes gebeten.
Warum ich immer von einem Prinzen und nicht von der Möglichkeit rede, daß es auch eine Prinzessin sein kann?
Ja, Gnädigste, das ist doch im Grunde egal. Seit Frauen bei uns regieren und wählen dürfen, ist der politische Unterschied zwischen den Geschlechtern aufgehoben, und es ist ein Anachronismus, daß für einen Prinzen annähernd fünfmal öfter geschossen wird, als für eine Prinzessin. Dieser Valuta-Unterschied dürfte nicht bestehen, Gleiche Rechte, gleiche Schüsse. Nicht 101 für die Prinzessin, aber 21 für beide. Das wird langen.
Sie meinen, dann wüßte das Volk aber doch nicht, ob es ein Prinz oder eine Prinzessin geworden ist.
Dem wäre leicht abzuhelfen. Für die Prinzen würde immer auf dem Geißknäppchen geschossen, für die Prinzessinnen am entgegengesetzten Ende des Stadtgebietes, beispielsweise auf dem „Kuebebierg“ über Eich-Dommeldingen.
Bei alledem, finde ich, hat man viel zu wenig Bedacht auf den Standpunkt der Kanone selbst genommen.
Diese 75-Millimeter-Kanone von Metz ist kein Spielzeug und wahrscheinlich auch nicht funkelnagelneu. Es ist hundert gegen eins zu wetten, daß sie im Krieg mit dabei war, daß sie Feinde zerschmettert und zum siegreichen Ausgang des Feldzugs beigetragen hat. Und nun sollen ihre Schüsse eine bloße Zeremonie bedeuten, sie soll etwas werden, wie eine nikotinfreie Zigarre oder ein alkaholfreier Burgunder, ein Eunuch sezusagen unter den wehrhaften Kameraden. Was würde ein Generalfeldmarschall und Schlachtenlenker empfinden, wenn er zum Kindermädchen degradiert würde! Und Sie selbst, Gnädigste, wenn Sie eine Kanone wären, würden Sie es nicht als capitis diminutio empfinden, wenn Sie statt einer Granate im Wert von 150 Franken plötzlich nur Papierstöpsel verfeuern dürften!
Also wie gesagt, dieses 75er Geschütz wird sich künftig bei seiner Batterie nicht mehr sehen lassen dürfen. Man wird es verulken, wie die bösen Buben einen Hofhund, dem die Zähne ausgebrochen sind und der sie nicht mehr beißen kann.
Das Beste wird also sein, wir behalten die unglückliche Geburtstagskanone gleich hier und kaufen uns eine für das andere Geschlecht dazu, so sind wir für alle Eventualitäten gerüstet und niemand wird mehr unsere nationale Souveränität in Frage stellen, weil wir uns vom Ausland die Kanonen fürs Salutschießen borgen müssen.
Und zum Schluß, Gnädigste, wollen wir die Hoffnung aussprechen, daß niemals von dem aminösen Geißknäppchen, auf dem im August 1914 die Deutschen von Longwy her ihren Feind erwarteten, etwas anderes aus einem Kanonenrohr herauszufahren braucht, als die Papierstöpsel, die beim Geburtstagsschießen für unser Fürstenhaus den Knall herstellen und niemand wehe tun.