Original

28. Dezember 1922

Der Pariser Appellhof hat soeben in einer Sache entschieden, die viel von sich reden machte und bei der das Antwortrecht auf dem Spiel stand. Der Kritiker Doumic hatte sich über die Werke der Herren Silvain und Jaubert abfällig geäußert und sie erhoben den Anspruch, im selben Blatt das Antwortrecht auszuüben. Sie wurden natürlich abgewiesen.

Der Pariser Appellhof läßt im Prinzip das Antwortrecht gelten, nur will er es auf die Fälle beschränken, wo ein tatsächlicher Angriff vorliegt. Die absällige Beurteilung eines Romans oder Dramas oder eines Bandes lyrischer Gedichte ist aber kein Angriff auf den Verfasser, sie ist vielmehr schon ihrerseits eine Abwehr gegen das Attentat, das der Verfasser mit seinem Werk auf das Publikum begangen hat.

Diese Frage des Antwortrechts ist so alt, wie der Gesetzesparagraph, der es vorsieht. Sie wäre längst gelöst, wenn man nur mit ein wenig Logik auf den Grund der Dinge denken wollte.

Wie liegt der Fall?

Da ist jemand, der eine Zeitung gründet, um den Leuten seine Meinung zu sagen, Man kann auch Zeitungen gründen, um Geld darauf zu verdienen, aber das ist erstens schwerer und gehört zweitens nicht in diesen Zusammenhang.

Also jemand investiert ein Vermögen in Setz- und Druckmaschinen, Papier, Arbeiterlöhnen usw. usw., um einem inneren Trieb gehorchend den Leuten seine Meinung zu sagen.

Wer dies tun will, kann nicht immer nur von Sonne, Mond und Sternen reden, die allerdings nie auf eine Antwort reflektieren. Er muß zuweilen seine Meinung auch über diesen oder jenen Mitmenschen äußern. Diese Meinung kann dem andern gefallen oder mißfallen. Der andere wird im letztern Fall das Bedürfnis empfinden, seinerseits den Leuten seine Meinung zu sagen: Erstens über sich selbst, zweitens über den, dessen Urteil ihm mißfallen hat.

Er wird nun aber nicht hingehen und seinerseits ein Vermögen in Setz- und Druckmaschinen, Papier und Arbeiterlöhnen investieren, sondern er wird dem andern einen Brief schreiben, der mit den Worten beginnt: Mich stützend auf das Preßgesetz usw., und im weiteren dem Adressaten möglichst unangenehme Dinge sagt. Die soll der Empfänger auf seine Kosten drucken und verbreiten lassen, er soll dafür das Papier, das Porto, die Druckerschwärze, die Arbeiterlöhne bezahlen und feine teuren Maschinen dazu hergeben, bloß weil der andere es vorteilhafter findet, statt auch eine Zeitung zu gründen, den Leuten seine Meinung durch die Zeitungen zu sagen, die andere bezahlen.

Sie werden sagen, das sei faul und paradox. Weil Sie, wie gesagt, nicht auf den Grund der Dinge denken.

Ein Pfarrer greift Sie auf der Kanzel an, ein Abgeordneter schildert Sie auf der Kammertribüne dem Land als Abschaum der Menschheit: Dürfen Sie dafür am nächsten Sonntag auf die Kanzel oder in der nächsten Kammersitzung „in die Bütte“ steigen (wie Herr Erpelding zu sagen pflegt), um der Gemeinde oder dem Land zu verkündigen, daß der andere gelogen hat? Nein, nicht wahr? Weil Sie nicht rechtzeitig das Geld daran gewendet haben, das es kostet, um Pfarrer oder Abgeordneter zu werden. Also mit welchem Recht verlangen Sie das Antwortrecht in der Zeitung, also die Benutzung eines Sprachrohrs, das ein anderer mit seinem Geld angeschafft hat, zu dem ausgesprochenen und durch die öffentliche Moral gebilligten Zweck, den Leuten die Wahrheit zu sagen, eventuell auch über Sie.

Entweder Sie kaufen sich selber ein Sprachrohr, wenn Sie noch keines haben, oder Sie bezahlen für die Benutzung desjenigen, aus dem der Ton Ihnen mißfallen hat.

Geben Sie sich keine Mühe, dies Räsonnement besteht vor der schärfsten Logik, und solange ich der Presse angehöre, werde ich von diesem Standpunkt nicht um ein Jota abweichen.

Wenn ich aber eines Tages, was Gott verhüten möge, der Presse nicht mehr angehöre, so lassen Sie es meine Sorge sein, wie ich meine Antwort an den Mann bringe.

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