Original

7. Januar 1923

„D’Kutsche fueren ob de Bal - Schuck we’ kal!“

Dicks hat in diesen zwei Versen ein ganzes Kulturbild aus seiner Jugendzeit gezeichnet. Es ist das alte Festungsluxemburg mit der preußischen Besatzung, in dem nur das höhere Militär und die paar Dutzend Familien des höheren Zivils als ballfähig galten. Ein Ball war dazumal ein Ereignis, eine Blüte, die das Jahr nur zwei-, dreimal trug, wie eine seitene Kaktusblüte. Man sprach drei Wochen vorher und drei Wochen nachher von nichts anderm. Und abends war das Rollen der Ballkutschen das einzige Geräusch in den Straßen. An solchen Ballabenden gingen alle Wogen hoch und was von gesellschaftlichen Ereignissen zu verzeichnen war, von der Verlobung bis zum Duell und Totschlag, stand stets oder fast immer im Zusammenhang mit einem solchen Ball.

Aus einer späteren Zeit erinnern wir uns eines Details, das nicht weniger, als die Dicks’schen Verse, für den Ballbetrieb von dazumal charakteristisch war. Die Einladungen trugen regelmäßig den Vermerk: Les voitures du sieur Knebgen sont à la disposition des dames.

Das redet Bände. Erstens: daß nur ein Wagenvermieter hier bestand, und das war der sieur Knebgen. Er ist der Gründer der Kutschenvermieterdynastie geworden. Wie seinerzeit in London eine Art Droschke nach ihrem ersten Erbauer Hansom genannt wurde, wie man in der Gastronomie ein Gericht, eine Sauce, ein Dessert nach seinem Erfinder Chateaubriand, Savarin, Pückler usw. net, so nannte man hier einen Luxuswagen „einen Knebgen“. Denn es war ein Luxus, sich einen Wagen zu leisten, und von notorischen Verschwendern wurde regelmäßig behauptet, sie wären Tausende bei Dousseau und bei Knebgen schuldig.

Zweitens ist aus obigem Vermert zu ersehen, daß bei den Organisatoren der Bälke von damals noch galante Gesinnung gegen Damen zu finden war. Die Damen sollten nicht gezwungen sein, in Nacht und Nebel, bei Schnee und Eis oder Negensturm über die Straßen zu waten, die damals schon so dreckig waren, wie heute.

Und ein Ball galt erst dann für vornehm und erstklassig, wenn jene Formel auf der Einladung stand.

Das war die Zeit, wo Papa Amberg als Tanzmeister die Stadt beherrschte. Kein Ball, auf dem er nicht die Quadrille aus ief, und kein Tänzer und keine Tänzerin, die nicht von ihm den Walzer, den Schottisch, die Polka-Mazurka, den Rheinländer, den Galopp, die Lanciers, den Quadrille Impérial, die Française usw. gelernt hatten. Kinder, die Lanciers! Klingt es Euch nicht noch in den Ohren: „Kreizdonnerwieder wat e Mann aß dat - wat e Mann aß dat - wat e Mann aß dat!“ Und der Walzer, der geliebte und gefürchtete Walzer, bei dem man sich kreuz und quer durch den Saal austoben konnte und nach dem Wände und Kronleuchter und Tänzerinnen und Ballmütter samt dem Orchester sich im Kreise um einen drehten und man froh war, einen Stuhl oder einen Türpfosten erreicht zu haben!

Und die Ballmütter? Gibt es die noch? Vielleicht. Aber sicher keine Tanzkarten mehr. Und keinen Kotillon, und keine Handschuhe. Ja, Ihr Verliebten von heutzutage, was bringt Ihr denn vom Ball heim als Andenken an Eure Herzdame? Wir hatten die Wahl. Eine Tanzkarte, auf die sie selbst ihren Namen eingetragen, ein Kotillonorden, den sie einem eigenhändig an den Frackaufschlag befestigt hatte, eine Blume aus einem Kotitlonbukett, ein dustender Handschuh - ja, man munkelt von einem rosa Seidenstrumpfband, das der Geliebten ausgefallen war und das man als kostbarsten Schatz in geheimem Schubfach mit andern Andenken aufbewahrte. Wem fällt heute noch ein Strumpfband aus!

Und gibt es denn auch noch die herrliche Einrichtung der sogenannten Tanzkommissäre? Das waren junge Leute, die als die geeigneteten erschienen, dekorativ wirkend galant gegen die Damen und korrekt gegen die Heeren, für Ordnung im Ballsaal zu sorgen. Wenn man Tanzkommissar wurde, war man damals mindestens so stolz, wie man es heute wäre, wenn man Verwaltungsratsmitglied einer anonymen Gesellschaft auf lux würde. Allerdings geriet schon zu meiner Zeit die Institution vielfach in Verfall, und die Tanzkommissäre waren nicht selten grade diejenigen, die mit Hilfe entsprechender Mengen von Champagner und Kognak zu Ordnungsstörungen Anlaß gaben.

Ich habe mir sagen lassen, daß ein Ball von heute einem Ball von damals nicht mehr gleicht. Indes, wenn ich die jungen Leute von heute frage, so höre ich, daß sie sich beim Tanz nicht weniger gut unterhalten, als ihre Väter und Mütter, die sich immer wieder den guten alten Walzer, die Polonaise, die Lanciers und den Kotillon zurückwünschen.

Aber was fingen sie damit an, wenn sie damit nicht auch ihre zwanzig Jahre zurückhätten!

TAGS
  • Verkehr
  • dancing
KatalognummerBW-AK-011-2308