Original

10. Januar 1923

Mathias Esch, Professor am Mädchenlyzeum in Luxemburg, hat auf dem internationalen Kongreß der Professoren des mittleren Unterrichts im vorigen August einen Vortrag gehalten, der jetzt im Druck erschienen ist und der unbedingt niedriger gehängt werden muß.

Er behandelt den Lateinunterricht, den Mathias Esch vor dem Untergang retten will.

Mit Recht! In dem wüsten Utilitarismus unserer Tage ist es nicht zuviel, wenn von staatswegen Pflichten auferlegt werden, deren Erfüllung sich nicht in Bargeld übersetzt. Wir müssen lernen, etwas tun und gerne tun, ohne daß dabei ein direkt zu erfassender Vorteil herausspringt.

Es ist schon traurig genug, daß die Vorteile des Lateinunterrichts unserm Geschlecht nicht mehr ohne künstliche Beleuchtung mit Argumenten aller Art in die Augen springen. Eine Menschheit, die keiner uneigennützigen Regung mehr fähig ist, die eine Schönheit nicht mehr um ihrer selbst willen zu genießen vermag, die von jeder Blume eine Frucht verlangt und der deshalb jede Kartoffel teurer ist, als jeder Rosenstock, die verdient es nicht besser, als daß sie sich in ewigem Hader um materiellen Besitz zerreißt. Die wird nie wieder zum Frieden gelangen, denn der Friede kann nur wohnen in einer Welt, die Ideale besitzt, und unsere Welt lacht über Ideale.

Wir leben in einer Zeit, in der es gut ist, daß man auf die Professoren höre. Sie sind diejenigen, die heute das Salz der Erde werden können, wenn sie das sind, was sie sein sollen: die Förderer alles Geistigen unter den Gütern des Lebens, die Prediger in der Wüste des Materialismus, die modernen männlichen Kollegen der alten Vestalinnen, die Hüter der Flammen, die leuchten und nicht verzehren sollen.

Darum soll hier eine Arbeit, wie die von Mathias Esch, dreidoppelt unterstrichen werden. Sie ist zu gut und zu wichtig, als daß sie ohne Widerhall im engen Kreise Gleichgerichteter verhallen soll. Wir müssen darum die Trommel rühren, wir müssen allen, die uns hören und auf uns hören, eindringlich sagen, was es mit diesen Fragen der klassischen Bildung auf sich hat.

Die Valutafrage ist sehr ernst und viele Existenzen hängen von ihr ab. Aber über tausend geknickte Existenzen geht das Leben weg und will immer höher, weil in der Höhe das größere Glück wohnt. Die Etappen messen sich nicht nach Punkten, wie der Wechselkurs, nicht nach Tagen, wie die Valutaschwankungen, sondern nach halben und ganzen Jahrhunderten. Aufstieg und Niedergang sind durch lange Perioden aufstrebenden Schaffens oder kurzsichtiger Nachlässigkeit und Profitsucht bedingt.

In einer solchen Periode befinden wir uns. Die kleine Schrift von Mathias Esch ist ein Ruf nach aufwärts. Ein Protest gegen die verworrene Nachkriegsidee, „daß alles umgestürzt werden muß, damit die Welt ihre Wiedergeburt erlebe“, gegen die offene Feindschaft der einen, die aus Prinzip gegen die klassischen und nur für die modernen Humaniora sind; gegen den entmutigten Skeptizismus der andern, die mit verschränkten Armen Gottes Wasser über Gottes Land laufen lassen; und gegen die satte Behaglichkeit, die die Gefahr nicht sieht oder nicht sehen will.

Passe encore de bâtir, mais planter à cet âge! Sie wollen auf so weite Sicht keine Ideale in Verkehr bringen? Sie beweisen damit, daß Sie dem engbrüstigen Egoismus der Zeit verfallen sind. Sie finden es in Ordnung, daß wir die Wälder ausroden, die unsere Vorfahren gepflanzt haben, und wollen nicht aufforsten, mag daraus werden, was will. Sie wollen die Geistesbildung, die auch Herzensbildung ist und die frühere Geschlechter aus dem Studium der alten Sprachen gewannen, ruhig und elegisch ausklingen lassen und sich nachher mit dem Foxtrott der modernen, utilitaristischen Schulbildung behelfen.

Und wenn Ihnen der Foxtrott zum Hals herauskommt finden Sie niemand mehr, der Ihnen Beethoven spielt.

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KatalognummerBW-AK-011-2310