Original

12. Januar 1923

„Ein paar große, undefinierbare Augen, in die man nicht hineinsah.“ - So schreibt Alex Weicker von den Augen seines Helden Saschka.

Das liest sich sehr schön. Man kann sich etwas dabei denken, aber es hat keinen Sinn. Weil es überhaupt keinen Sinn hat, von den Augen als Ausdrucksmittel in unserm Gesicht soviel Aufhebens zu machen.

Ich kenne keine Augen, in die man hineinsieht. Aber Weicker hat recht. Von Augen, aus denen nichts heraussieht, kann man auch sagen, daß man nicht hineinsieht.

A propos: Daß die Augen der Spiegel der Seele sein sollen, ist doch ein blanker Unsinn. Ein Spiegel kann nichts spiegeln, was hinter ihm steht. Sie müßten also annehmen, die Seele gehe aus ihrer Wohnung heraus und stelle sich davor auf, um in den Fenstern ihr Spiegelbild zu betrachten.

Versuchen Sie einmal, in ein Paar Augen hineinzusehen, tief, bis auf den Grund, wie es in den psychologischen Momenten der Liebesgeschichten heißt: Sie sehen nichts, als höchstens Ihr eigenes Spiegelbild, das Ihnen gar nicht gefällt, weil es konvex verzerrt ist und Ihnen dicke Lippen und eine Knollennase macht. Das Kindchen im Augapfel, nannte es Clemens Brentano mit besonderer Bedeutung.

Wir sind aber an diese schönen Redensarten, in denen unsere Augen eine so vornehme Rolle spielen, derart gewöhnt, daß niemand sie mehr missen möchte, der Leser nicht und der Schreiber noch viel weniger. Das soll uns indes nicht hindern, uns über den Augenzauber klar zu werden.

Der einzige Ausdruck, den wir uns in einem menschlichen Gesicht verwirklicht denken können, ist auf Muskelbewegung oder Muskelstellung zurückzuführen. Alle Bewegung oder Erstarrung ist positive oder negative Teilnahme an einem Geschehen. Das Spiel der Physiognomie ist nichts anderes.

Das ausdrucksstärkste Organ im Menschengesicht ist der Mund, wahrscheinlich weil von seiner Beteiligung an einem Geschehen am meisten abhängt, ob er nun beißt, ißt oder schreit.

Eigentlich hat aber jedes Gesicht nicht nur einen Mund, sondern drei Münder. Denn das Spiel der Muskulatur, die unsere Augen einfaßt, geht sozusagen parallel mit dem der Lippen. Und dies Spiel der Augenmuskeln allein ist es, das jenen Augenzauber hervorbringt.

Wenn Weicker von Augen spricht, in die man nicht hineinsieht, und er kennt ein solches Augenpaar, so soll er es einmal auf den Bewegungsreichtum bezw. die Bewegungsarmut der dazu gehörigen Muskeln untersuchen. Wetten daß die Verschlossenheit dieser undefinierbaren Augen auf nichts anderm als der relativen Starrheit der Muskulatur beruht. Ich gehe weiter und behaupte, daß es sich mit dem dazu gehörigen Mund auch nicht anders verhält.

Dagegen läßt sich mit einem Paar Glasaugen die ganze Tonleiter der Stimmungen ausdrücken, je nachdem sich die Muskeln drum herum verhalten. Sogar mit seinen weißgrauen Achataugen könnte ein Blinder lachen und erschrecken, wenn er es mit seinen Lidern könnte. Sehen Sie sich die Gioconda an: Wiederholen ihre Augen nicht in der Oktave, was der Mund ausdrückt, und ist beide Male der Ausdruck nicht vollkommen identisch?

Kinderaugen? Sie sehen frischer aus, weil ihre Hornhaut denselben Vorteil der Frische besitzt, wie die Haut der Kinderwangen, und weil die Unverbrauchtheit des Kindergesichts dazu den Kommentar gibt. Aus dem bloßen Augapfel könnte nur Herr Gustav Meyringk etwas herauslesen.

Es gibt - nur vom Augapfel zu reden - keine Unschulds- und keine Verbrecheraugen. Ich kannte ein braunes Augenpaar. Es gehörte einer schönen Siebzehnjährigen. Als ich sie wiedersah, war etwas in ihren Augen, was früher nicht darin gewesen war. Früher war darin kein Mißtrauen gewesen, keine sündige Neugier, kein Verstehen, kein Einverständnis. Das alles schien jetzt in diesen braunen Augen zu stehen. Aber die Augen waren die alten, nur auf der Bühne des Gesichts zog die veränderte Seele ihre Muskel-Marionetten anders an den Nervenfäden.

TAGS
  • on eyes
  • Weicker
KatalognummerBW-AK-011-2312