Für heute zwei ganz kurze Erlebnisse: Wie sich im Kleinen das Weltbild malt, in einem Tröpflein sich Himmel und Erde spiegeln.
Ein Büblein begegnet mir auf der Straße, erbärmlich schluchzend, Pflaster und Trottoir mit ängstlichen Augen absuchend.
„Was heulst du denn, Kleiner?“
Er habe seinen dicken Sous verloren, bringt er, vom Bock gestoßen, schluchzend heraus, er habe dafür eine Schachtel Streichholz kaufen sollen, huhuhu!
„Da hast du einen dicken Sous, kauf deine Streichhölzer und sei wieder vergnügt.“
Er vergißt, danke schön zu sagen, zieht noch ein paarmal heftig durch die Nase auf und rennt mit seinem dicken Sous davon.
Er denkt nicht an das verlorene Geldstück, das jetzt vielleicht nutzlos verrosten wird, dessen Wert aus der Welt verschwindet, spurlos, ohne Vorteil für irgend wen.
Ein andermal treffe ich auf demselben Weg ein kleines Mädchen, auch im heftigsten Schluchzen, die Augen am Boden, kreuzunglücklich.
„Nanu, was ist dir denn geschehen, wer hat dir was zuleid getan?“
Sie hatte sich für zehn Sous gefüllte Schokolade kaufen wollen und den Schein verloren. Wahrscheinlich hatte ihn der Wind verweht, oder jemand gefunden, oder er war unter den Kehricht geraten und würde weggefahren.
Der Wahrheit eingedenk, daß man einem Kind mehr Freude mit zehn Sous, als einem Großen mit tausend Franken machen kann, griff ich in die Tasche und gab ihr einen andern Schein.
Sie nahm ihn weinend und mit Dankesgestammel in Empfang.
„Jetzt mußt du dir aber auch deine Schokolade kaufen,“ sagte ich.
Sie nickte zustimmend und weinte noch lauter.
„Ja, Mädelchen, warum weinst du denn jetzt noch weiter, du kriegst ja deine Schokolade.“
„Ja, aber meine zehn Sous!“ sagte sie, und das Schluchzen-brach ihr unbändig aus der Kehle.
Da haben wir den Unterschied. Ihr war nicht um den Augenblick und um die momentane Rettung aus der Not zu tun, ihr lag die Erhaltung der Werte schon an ihrem kindlichen Frauenherzen.
Im Lao-tse steht irgendwo, daß das Weib das Bleibende, Welterhaltende ist. Das Ewige. Wir sind ein Durchgangselement. Ein Schaffendes, nicht ein Erhaltendes.
Der Vater sorgt dafür, daß Brot auf den Tisch kommt, die Mutter dafür, daß kein Krümchen verloren geht. „Iß das noch!“ sagt sie, auch wenn niemand mehr Hunger hat. Es soll nichts verderben.
Was liegt ihr an der Schokolade, die sie sich kaufen kann, wenn sie denken muß, daß zehn Sous irgendwo ungenützt verkommen!