Original

24. Januar 1923

Herr Redakteur! Ich schreibe Ihnen diese Zeilen am Morgen von Großherzoginsgeburtstag, noch ganz unter dem erschütternden Eindruck der Kanonenschläge, mit denen der Tag eingeleitet wurde.

Ich hoffe - und hoffentlich hofft die ganze Stadt mit mir -, daß jetzt endlich der Unfug dieses patriotischen Geräusches aufhören wird und daß zum letzten Mal die Kanonen an unserer Festesfreude mitgewirkt haben.

Fürchtet man nicht, den Schläfer zu wecken, der uns fünfthalb Jahre lang die Ohren mit Donner und die Herzen mit Schrecken gefüllt hat, alles vermittels der Kanonen, die jetzt zu Verkünderinnen patriotischer Begeisterung dienen müssen? Er hat sicher einen sehr leisen Schlaf und wir hören, daß er sich die letzte Zeit über in bösen Träumen wälzt.

Im Ausland machen sie sich schon über uns lustig. Amerikanische Zeitungen erzählen in ulkiger Aufmachung die Geschichte von dem geborgten Geschütz, mit dem wir bei feierlichen Gelegenheiten die Luft erschüttern. Ich denke an das Büblein, das mit seines Vaters Regenschirm spazieren gehen durfte, wenn die Sonne schien. So dürfen wir mit den fremden Kanonen schießen, solange es Frieden ist. Sobald es regnet, braucht der Papa seinen Schirm selber.

Und das Büblein kann dabei eklig naß werden.

Dieser merkwürdige Trieb, bei feierlichen Anlässen möglichst viel Geräusch zu machen, findet sich am stärksten bei wilden Naturvölkern, die ihre Freude nicht in wohlgesetzten Reden und feierlichen Kantaten und Te Deums können ausströmen lassen. Darum machen sie so lauten Radau, wie es ihnen möglich ist. Aber sie sind vernünftig genug, diesen Radau in den hellen Tag zu verlegen und damit nicht schon anzusangen, wenn es noch dunkel ist und ein Teil der Bewohnerschaft noch in den Betten liegt. Ich wette, daß heute morgen die meisten, die gestern abend die Vorfeier des allerhöchsten Geburtstages froh begangen hatten, durch die Kanonenschläge in ihrem Morgenschlummer gestört wurden. Unter den Folterqualen, die menschliche Grausamkeit ausgedacht hat, ist eine der grausamsten die, die den Gefolterten nicht zum Schlafen kommen läßt. So in der Art ist das Salutschießen. Alle zwanzig Sekunden zittert der Boden, rasseln die Scheiben, dröhnen die Lüfte. Und alle zwanzig Sekunden taumelt der Morgenschläfer von der Schwelle des Schlummers zurück.

Um ihn braucht es niemand leid zu tun, meinen Sie. Er hätte beizeiten aufstehen sollen. Allerdings. Aber es gibt Kranke, die vielleicht die ganze Nacht gefiebert haben und beim Morgengrauen endlich eine halbe Stunde Schlaf fänden, wenn sie nicht alle zwanzig Sekunden erschreckt aufführen. Es gibt Kinder, die bei jedem Kanonenschlag das Haus voll brüllen und ihre Mütter zur Verzweiflung bringen, es gibt Hunde, die jedesmal mit wütendem Geheul gegen den Radau protestieren und die Nachbarschaft wach hielten, auch ohne den Geschützdonner.

Und dann! Und dann ist der letzte Schuß verhallt, aber dann kannst Du erst recht nicht mehr einschlafen, weil Du zählst und zählst, wann der nächste kommen wird, und die Angst nicht los wirst, daß der nächste Schlag in Deinem Schlummer sich als entsetzlicher Albdruck auswirken wird.

Wenn denn absolut geschossen sein muß, so dächte ich in meinem unmaßgeblichen Untertanenverstand, es wäre schöner und zweckmäßiger, wenn man sich mit einem einzigen, deftigen Schuß begnügte. Und den sollte man Klock Mittag im Herzen der Stadt, auf dem Paradeplatz, meinetwegen vom Turm des Cercle, in den Raum feuern. Und die Musik würde dazu den „Wilhelmus“ spielen und es wäre ungleich feierlicher, als wenn die Soldaten bei den französischen Kanonen auf dem Geißknäppchen im Morgendämmer kalte Füße kriegen und die Leute sich fluchend in den Betten herumdrehen.

Achtungsvoll Grimberger, Nörgler.

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    Katalognummer BW-AK-011-2321