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26. Januar 1923

Das Verlockende, das die kommunistischen Theorien an sich haben, trat kürzlich an einer Stelle zutage, wo man es am wenigsten vermutet hätte: Im hauptstädtischen Gemeinderat. Und zwar brachen für diese Ideen grade solche Stadtväter eine Lanze, hinter denen man Anlagen zum Bolschewismus am wenigsten gesucht hätte.

Der Fall ist bekannt. Die städtischen Polizisten haben vor einer Reihe von Jahren eine - man könnte sagen Gratifikationsnivellierungskasse gegründet. Es kam vor, daß der eine oder andere von ihnen für eine Extraleistung eine Extravergütung empfing. Wen es grade traf, den traf es. Alle konnte es nicht treffen, weil die Gelegenheiten relativ selten waren, aber im Grunde hätte jeder darauf dasselbe Recht gehabt, wie der Kollege, den es traf. Das verdienstliche Moment lag nicht im Individuum, sondern in der Uniform, der Einrichtung. Es war nicht der Polizist, sondern die Polizei, die das Geld empfing, und darum sollte die Polizei in Gestalt sämtlicher Polizisten daran teil haben. Daher die Kasse.

Das Prinzip war schön. Solange es relativ wenig kostet, hält sich jedermann Prinzipien. Für fünf Franken vierteljährlich zum Beispiel ist ein gutes Prinzip, wie das dieser Gratifikationsnivellierungskasse, gewiß nicht zu teuer. Aber fünfhundert, tausend Franken ist es sicher nicht wert. Dafür bekommt man schon eine Korde Holz, ein fettes Schwein und einen neuen Anzug.

Als somit einzelne Polizisten, die auf der Schobermeß und sonstwo die Lustbarkeitstaxen für das Armenbüro erhoben hatten, dafür fünfhundert bis tausend Franken Entschädigung bezogen, kündigten sie ihr Prinzip in bezug auf die mehrerwähnte Kasse und behielten das Geld, das sie persönlich verdient hatten, in ihrer Privatschatulle.

Der nächstliegende Ausgleich wäre der gewesen, daß im nächsten Jahre andere Polizisten mit dieser lukrativen Nebenbeschäftigung betraut worden wären, im zweitnächsten Jahr wieder andere, und so reihum, bis die ersten wieder drangekommen wären.

Statt dessen traten mehrere Gemeinderatsmitglieder energisch für das Prinzip der Teilung ein. „Wir geben das Geld, wir wollen bestimmen, wie es verteilt wird.“

Das ist also die glatte Regierung des individuellen Werts einer Leistung. „Glichiddereen sai Beckleck!“ soll die Losung heißen. Die Folge wird unweigerlich die sein, daß sich alle vor der Mehrleistung, und sei sie noch so geringfügig, drücken werden, weil sie ihren Teil am gemeinschaftlichen Inkasso ja trotzdem bekommen werden.

Diese Kasse, wie die gewöhnlichen Trinkgelderkassen, ist ein Unsinn. In Geldsachen hört die Gemütlichkeit und hört auch die Solidarität auf. Jeder wird nur darauf aus sein, soviel wie möglich zu „schmieren“, und daß das zur Hebung des Gemeinsinns und der Moral im allgemeinen beitragen wird, wäre zu beweisen.

Das Beste ist, löst Eure Kasse auf, behaltet jeder, was er verdient, und beugt der Willkür in der Zuweisung der Extrawürste dadurch vor, daß Ihr dafür einen Turnus einführt. Dann regt sich der Gemeinderat nicht über die Fälle auf, in denen etwas schief gegangen ist, und Ihr behaltet Eure Nebenverdienstgelegenheiten, statt daß sie immer desto mehr beschnitten werden, je mehr in der Öffentlichkeit davon die Rede geht.

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    Katalognummer BW-AK-011-2323