Würden Sie ......?
Nein, ich will nicht so brutal mit der Tür ins Haus fallen. Ich will langsam von vorne anfangen.
Also ich wollte wieder einmal nach Clausen spazieren gehen.
Clausen ist die anmutigste unserer Vor- und Unterstädte. Sie hat landschaftlichen Charakter mit den Höhen, die sie umgeben, ohne sie zu erdrücken, mit dem Fluß, der sie in anständigem Tempo ohne olfaktorische Nebenerscheinungen durchrauscht. Es ist die einzige Unterstadt, in der ein Ansatz zu einem anmutigen Villenviertel vorhanden ist und in der es schon unsern Vorfahren, von den Römern bis zum Grafen Mansfeld, dem Sproochmathes und dem Hexenthommes gefallen hat. Selbst die Industrie hat den wohnlichen Charakter von Clausen nicht zerstört, man vermag an das Clausener Bier zu denken, ohne daß einem das Bild durch verrußte Mauern und verpestete Luft verdorben wird.
Eine freudige Überraschung erlebte ich gleich an der Schloßbrücke, wo auf dem Trttoir eine Anzahl Masten für die neue Trambahn, frisch mit Minium gestrichen, ihrer Errichtung harren. Es wird also doch Ernst mit der Elektrischen nach Neudorf.
Dann feierte ich Wiedersehen mit der Traueresche, die am Clausener Berg in dem Garteneckchen an einer Villa steht. Ich kam vor langen Jahren als kleiner Junge mit der Oktavprozession den Berg herauf, und da stand unter dieser selben Traueresche, die damals noch ein junges Bäumchen war, eine junge Frau und hatte ein Kind auf dem Arm. So unbeweglich stand sie, daß ich glaubte, es sei eine Kunstfigur. Bis sie sich bewegte und mit dem Kind zu reden begann. Inzwischen ist aus der Traueresche ein stattlicher Baum geworden.
Und aus der Frau und dem Kind?
Eine zweite freudige Überraschung war es, als ich auf den freien Zweibrückenplatz in Clausen hinaustrat. Was war das früher für eine verzwickte, unheimliche Ecke! Und was ist daraus geworden! Ein sonniger weiter Platz, sauber, einzigartig mit seiner malerischen Umgebung, dem rauschenden Wehr, dem Blick auf die Oberstadt, wo sie am schönsten sich darstellt, dem belebenden Eindruck einer Industrie in voller Entfaltung auf gediegener Grundlage.
„Das ist alles noch gar nichts!“ sagte da ein Freund, der des Weges kam. „Die Bauverwaltung will zur Verschönerung des Platzes und zur Genugtuung der Clausener ein Übriges tun. Sie will uns ein Denkmal auf dem Zweibrückenplatz errichten.“
Er ließ mich raten. Ich verfiel auf Mansfeld, auf die Mumm Se’ß, auf den König Gambrinus usw. Er lachte.
„Nein! Ich sehe, Du rätst es nie!“
„Nun, was soll es für ein Monument sein?“
„Ein Pissoir!“
Ich starrte ihn ungläubig an. Aber er zeigte mir den Platz, er zeigte mir den Grundstein. Das Unerhörte ist schon zum Teil Tatsache geworden.
Der Tourist, der nach Clausen geht oder demnächst fährt und der im Fremdenführer von den landschaftlichen Reizen Clausens gelesen hat, wird als Erstes mitten auf dem schönen Platz eine Bedürfnisanstalt erschauen.
Wenn die Clausener auf ihrem freien Platz einmal ein Fest feiern, so ragt über ihre Köpfe als Wahrzeichen ein Pissoir!
An den Sonntag Nachmittagen nach der Vesper haben sie einen originellen Zeitvertreib: Sie setzen sich ans Fenster und zählen die Mitbürger, die bei besagter Anstalt ab und zu gehen: „Aha, das ist der Pier, jetzt kommt der Jang, hei den Änder, kuck den Nickela - den Hary kömmt scho fir ’t zweet,“ usw. usw. An der Frequenz der Anstalt wird der Verkehr gemessen, sie wird das Barometer des Clausener Wohlstands, ihre Benützung wird zu einer öffentlichen Angelegenheit. Denn von jedem Fenster in weiter Runde ist sie sichtbar.
Spaß beiseite: Würden Sie einem Nachttopf mitten in Ihrem Salon auf dem Teppich einen dauernden Platz anweisen?
Das tut die städtische Bauverwaltung in Clausen. Genau das!
Auf die Gefahr hin, wegen Volksaufwiegelung ins Gefängnis zu kommen, fordere ich hiermit die Clausener auf, das Pissoirdenkmal, das man ihnen in ihre gute Stube setzen will, gleich am ersten Tag in Stücke zu schlagen.
Aber hoffentlich kommt es nicht soweit, hoffentlich genügt dieser Hinweis, um die zuständige Stelle auf den verdrehten Heiligen aufmerksam zu machen, der die Stadt an ihren schönsten Stellen mit Pissoirs noch verschönern will.