Herr Jean Logeling, Präsident des Vereins „Kunst in der Schule“, hat einen wohldokumentierten Vortrag, den er über das Kinema in der Schule kürzlich gehalten hat, jetzt im Druck herausgegeben.
Ich habe mit Genugtuung festgestellt, daß auch Herr Logeling das Versagen des Kino auf eine naserümpfende Ablehnung der Intellektuellen zurückführt.
Irgendwie und irgendwo muß beim Start ein Fehler gemacht worden sein, sonst wäre es undenkbar, daß noch heute, achtundzwanzig Jahre nach der Erfindung der lebenden Filmbilder, die Pädagogen sich die Finger krumm schreiben und die Hälse trocken reden müssen, um das Kine für die Schule nutzbar zu machen.
Das klingt so, wie wenn einer einen Vortrag hielte: Das Buch in der Schule - in der Voraussetzung, daß bisher das Buch als Unterrichtsmittel keine Verwendung gefunden hätte.
Denn die Erfindung des Kino ist in den Möglichkeiten ihrer Auswirkung der Erfindung des Buchdrucks gleichzustellen. Dem Kino wohnt dieselbe werbende Vulgarisationskraft inne, wie dem Buch, nur daß es unmittelbarer, durchschlagender wirkt, weil es meist in den üppig treibenden Boden der Massenpsyche seine Gedanken- und Gefühlssaat streut, weil der Weg durch das Auge in das Menscheninnere der offenste und gradeste ist.
Aber was wurde bis jetzt daraus gemacht?
Lumière brachte 1895, wie Herr Logeling in seinem Vortrag mitteilt, als ersten Film die Aufnahme einer Fabrik beim Schichtwechsel heraus. Das war natürlich äußerst wirksam, jeder Arbeiter erkannte aufgeregt sich selbst und die Kameraden, grade diese Möglichkeit der Exteriorisierung mußte dem Individuum leidenschaftliches Interesse einflößen. Grade in dieser Nichtung aber ist das Kino unerschlossen geblieben. Der reiche Mann läßt sich und seine Gattin in Pelzmänteln in Öl malen, er läßt sich noch nicht filmen. Kein Photograph ist darauf verfallen, seine Kunden in voller Bewegung zu so und soviel pro Meter aufzunehmen und das Filmporträt in Mode zu bringen. Ein Anfang würde genügen.
Zuerst erschöpften sich die Kino-Unternehmen in der Aufnahme von Naturbildern, Sportszenen und dergleichen. Damals war ein Abend im Kino immer interessant. Man sah einen Stierkampf in Madrid, einen Ski-Wettlauf in Skandinavien, eine Walfischjagd, ein Automobilrennen mit Wagen, die an einer scharfen Biegung sich um sich selbst drehten - alles echt und ohne Trükage. Dann wurden die technisch unbegrenzten Möglichkeiten des Kino zur Herstellung von allerhand Zauberfilmen benützt, mit dem unglaublichsten Hokuspokus; und dann kam das Schlimmste, die Mode der gestellten Rührstücke, die auf dem Grab der Mutter oder der ersten Gattin mit einer Verlobung endigten usw., der Abenteurerfilme mit immer den gleichen halsbrecherischen Sprüngen und Klettereien eine angenehme Abwechslung waren die Wildwest-Filme mit ihren unübertroffenen Reiterkunststücken -, die großen historischen Schm ren und dergleichen - alles Produkte, mit denen weder Literatur noch Geschichte noch Kunst etwas zu tun hatten. Die Literaten, Künstler und Geschichtsschreiber hatten es verschmäht, um das neue Ausdrucksmittel zu werben, wie sie es hätten tun müssen, das Kino rächte sich, indem es sich in die Hände einer Sorte von Bildungsschustern gab, die auf der breitesten Grundlage nun ihrer verheerenden Tätigkeit frönen durften. Es hat sich auf diese Weise eine Filmproduktion im Geschmack von Weinreisenden und Zirkusdirektoren herausgebildet und die Massenseele infiziert. Gute und wertvolle Filme in dem Maß, wie es gute und wertvolle Bücher gibt, sucht man bis jetzt vergebens.
Und warum sollte es denn unmöglich sein, für das Kino ein wirkliches Mimodrama im Wert zum Beispiel des „Faust“ zu schaffen?