Den stärksten Eindruck hatte ich diesmal nicht von dem lauen Vorostertag, nicht von der tiefgrünen Mosel, nicht von der Stunde mit Freunden auf der freundlichen Terrasse bei einem Liter 21er, Kellertemperatur, nicht von diesem ganzen Tag, der war wie ein helles Tor, nach der Sonnenseite des Lebens, der Apotheose des Jahres zum ersten Mal geöffnet.
Den stärksten Eindruck hatte ich von einem Kind. Nie war mir so, wie bei diesem, die Bedeutung des Wortes klar geworden: das Kind ist des Mannes Vater.
Polchen ist ein strammer Junge von zirka zwei Jahren. Er steht fest wie gegossen auf seinen drallen Beinchen mit den breiten rosigen Kniekehlen und den Waden, die er mit Genuß herausdrückt.
Wenn ich sage: er steht, so stimmt das nur zum Teil. Die meiste Zeit über flog er auf der Terrasse herum, von einem Tisch zum andern, vom Geländer zur Hausfront, von seiner Mama zu dem sich sonnenden Hund, der zu seinen intimen Freunden gehört. Er bollerte kreuz und quer wie ein grüner Ball.
Als ich in seinen Gesichtskreis trat, lief er auf mich zu und streckte mir eine Patschhand entgegen und sagte guten Tag. Seine blauen Augen leuchteten und seine Zähne blitzten in dem frischen Bubengesichtchen, das von einer unbändig fröhlichen, aggressiv fröhlichen Gesundheit strotzte. Aber er ließ sich in kein Gespräch ein. Gott bewahre! Gruß und Handschlag, damit fertig, er hatte anderes zu tun. Er mußte unbedingt die Gittertür untersuchen, die die Terrasse von der Treppe nach dem tiefer gelegenen Gärtchen abschloß. Er fand alles in Ordnung, die Türe funktionierte tadellos, ging auf und ging zu, immer schneller. Dabei geriet er mit einem Finger an eine Stelle, wo nach Lage der Dinge der Finger nicht hingehörte. Polchen zog ihn rasch zurück und sein Gesicht verriet, daß er eine schmerzhafte Überraschung erlebt hatte. Aber er verbiß mannhaft seinen Schmerz und arbeitete weiter. Von der Frau Wirtin wurde er von der gefährlichen Tür mit einem Apfel weggelockt. Er füllte sich erst die Hände mit Kieselsteinen von dem Gartenpfad, überlegte dann, mit welcher Haud er den dargebotenen Apfel ergreifen sollte, überführte die Kieselsteine aus der rechten in die linke Hand und nahm den Apfel. Nicht als Spielzeug, nein, als Nahrung. Er hieb die zwei Reihen weißer Zähnchen hinein, daß ihm die Ohren wackelten. Als er ihn halb gegessen hatte, rief ich ihn und hielt ihm ebenfalls einen Apfel hin. Polchen überlegte keine Sekunde. Seine Wahl zwischen einem halben und einem ganzen Apfel war im Bruchteil einer Sekunde getroffen. Ein anderer hätte den angebissenen Apfel fallen lassen oder lässig weggeworfen. Nein, bei Polchen ist jede Handlung, jede Bewegung das Ergebnis eines festen Entschlusses, hinter jeder steht die treibende Kraft eines unbeugsamen. Willens zur Deutlichkeit. Er hob beide Hände über den Kopf und schmiß den Inhalt, Apfel und Kieselsteine mit sieghaster Energie auf den Boden. Sachlich, wie ein Carnegie, nahm er den frischen Apfel, biß hinein, und schon ging er zu neuen Taten über.
Die Gittertür lockte ihn noch immer. Er begann wieder das Spiel von vorhin, dabei schwang die Tür zu weit seitwärts und drängte ihn von den Stufen ab. Er hing mit einer Hand an einem Eisenstab der Tür im Leeren, aber er ließ weder los, noch brüllte er um Hilfe. Er strampelte sich wieder festen Boden unter die Füße und ging glatt über den Zwischenfall weg.
Er ist der Mann der Tat und des Augenblicks. Er schleppt keinen unnötigen Ballast, seine Losung ist: Fertig, ab, der Folgende!
Polchen, aus Dir wird was. Aber ich rate Dir, geh nach Amerika, wenn Du groß bist, und mach Deine Heimat berühmt.