Vom ersten Gewitter im Jahr muß man Notiz nehmen, genau wie vom ersten Maikäfer, der ersten Schnepfe, dem ersten Freibad, dem ersten Ausgang ohne Überzieher usw.
Unser erstes Gewitter hatten wir also am Montag. 26. März, drei Viertel vier nachmittags.
Damit war, nach einer viel verbreiteten Volksmeinung, der Winter die Treppe mit Gepolter hinuntergeschmissen und konnte mit Sack und Pack abziehen.
Ich hoffe, der Volksmund behält recht, es sind in den letzten Tagen so viele Pfirsich- und Aprikosenblüten in den Gärten aufgegangen, daß es zur Katastrophe kommen würde, wenn der Winter noch einmal auf eine Nacht hereinsähe.
Es gibt sicher auch Bauernregeln, die an Gewitter im März allerhand Prophezeiungen für das Jahr knüpfen, gute und schlechte. Es find wahrscheinlich fünfzig Prozent gute und fünfzig Prozent schlechte, sodaß wir uns über die einen ebenso wenig zu freuen, wie über die andern aufzuregen brauchen.
Aber dies Gewitter am Montag war uns merkwürdig schon als Gewitter überhaupt. Wir waren ein wenig gewohnt, seinesgleichen als Vorkriegserscheinung zu betrachten, da im Vergleich zur Vorkriegszeit die Gewitter in den letzten Jahren auffallend selten geworden waren. Oder merkten wir weniger davon, weil andere Phänomene unsere Aufmerksamkeit stärker und dauernder beschäftigten? Jedenfalls steht uns die Zeit vor dem Krieg in der Erinnerung, als ob in jedem Sommer die Gewitter einander nur so abgelöst hätten, und wenn sie heute in längeren Zwischenräumen eintreten, sagen wir wohl: Das ist, wie zur Zeit, wo man noch für fünfundsiebzig Franken einen Anzug, für sechs Sous einen Humpen Münchener und für zwanzig Franken einen öslinger Schinken kaufen konnte.
Dasselbe gilt für den Schnee. Ich bin sicher, es gibt hier Buben von sechs bis acht Jahren, die nie einen Schneemann gemacht, nie das Mädchen ihrer Wahl mit Schneeballen verfolgt haben. Ich meine richtige Schneemänner und Schneeballen aus dem Vollen, aus einem fußhohen Schnee, der Wochen, Monate lang liegen bleibt, im langsamen Schmelzen die Erde gründlich durchtränkt und die Quellen speist. Solchen Schnee hatten wir nicht mehr, seit - seit wann denn? Wann hat der letzte Rodler im Papierberg Arm und Bein gebrochen?
Das Gewitter am Montag war übrigens auch nur ein Anfang, ein Auftakt, ein Auftritt in den Wolken, der seine Fortsetzung nicht bis herunter fand. Aber es war immerhin ein Versuch. Übrigens, wie will der liebe Herrgott da droben heute noch ein rechtschaffenes Gewitter zusammenbosseln, wenn sie ihm die Kreuz und Quer durch den Äther ins Handwerk pfuschen! So ein Donner weiß ja gar nicht, ob ihm nicht von diesem Draht und jenem Blitzableiter die ganze Wucht abgezapft wird, ehe er loslegen kann. Daß der Frechdachs Prometheus den Göttern seinerzeit das Feuer geklaut hat, ist noch gar nichts gegen die Unverschämtheit, mit denen sie ihnen heute die Elektrizität subtilisieren. Sie bringen es sicher noch so weit, daß sie die ganzen Gewitter, diese naiven Knalleffekte der Natur, ganz abschaffen und die dabei mutwillig vergeudete Kraft haushälterisch über das Jahr verteilen.
Wenn sie dann später nur nicht finden, daß sie eine Dummheit gemacht haben!