Ich lege das Wörtchen „Ostern“ vor mich hin. Da liegt es. Ein reich geschliffener Edelstein, blinkt mit unzähligen Facetten, weißen, blauen, grünen, roten, violetten, gelben. Kein Wort schillert und funkelt so brillantartig, wie das Wörtchen Ostern.
Nun liegt es da schon eine halbe Stunde und funkelt und glitzert, und ich freue mich an den Spritzlichtern, deren jedes mir etwas bedeutet. Wie wenn man den Brillantring am Finger im Dunkeln dreht und er jeden heimlichen Lichtstrahl auffängt und in den Farben des Regenbogens hinausstrahlt, leidenschaftlich, inbrünstig, gleich winzigen Sonnen.
Aber was hast Du von dem Geglitzer, lieber Leser? Soll ich Dir lieber eine Ostergeschichte erzählen? Ich weiß eine Unmenge Ostergeschichten, aber habe ich sie nicht schon einmal erzählt? Zu fatal, daß man seit einem Menschenalter Geschichten erzählt. Auf einmal sagen die Leute: Geschenkt, die haben wir schon dreimal gelesen!
Laßt uns lieber der größeren Sicherheit halber eine funkelnagelneue Ostergeschichte erfinden. Sie könnte passieren, sie ist vielleicht passiert.
Der Held - ich bin mir über das Geschlecht nicht ganz klar - lag im Schaufenster bei Knopf mit vielen andern zusammen in einem Körbchen, überragt von einem Zettel, auf dem geschrieben stand: Stück 7 Sous.
Es waren täuschend nachgeahmte Porzellaneier, unzerbrechlich, unverwüstlich.
Bei den Eiern ist, wie gesagt, das Geschlecht unbestimmt. Man sagt, das Hühnerei, aber zum Beispiel die Kaplanet. Trotzdem reden wir hier der Einfachheit halber weiter von einem Helden unserer Geschichte, denn jede Geschichte muß einen Helden haben.
Das Porzellanei, das hiermit in den Mittelpunkt des Interesses gerückt wird, ging an einem der zahlreichen Charfreitage, die auf den Weltkrieg folgten, gegen Erlegung von 7 Sous in den Besitz eines Unteroffiziers der luxemburger Militärmacht über. Er hieß Hary, sie Kätty, Er ging auf Osterurlaub in sein Dorf mit dem Porzellanei in der Tasche und dem Schelm im Busen. Zuhaus pflückte er im Garten Veilchen und Petersilie, diese wickelte er zusammen mit braunen Zwiebelschalen um das Porzellanei, nicht ohne vorher eine ovale Stelle darauf mit Speck eingeschmiert zu haben, damit sie keine Farbe annehme. Dann tat er das Ei in kochendes Wasser, und als er es nach einigen Minuten heräusnahm und aus der Hülle herauswickelte, war es wunderschön blau und grün und braun gesärbt. In das weiße Oval schrieb Hary mit einem Tropfen Herzblut, den er einer beim Rasieren entstandenen Hautritze entnommen hatte, die Worte: „Dein bis in den Tod!“
Beim Eierticken am Ostersonntag schlug Hary alle Eier kaput, die Kätty ihm vertrauensvoll hinhielt, aber sie nahm es ihm nicht übel. Sie fand es ganz in der Ordnung, daß er ihr als Mann überlegen war. Und nachher schenkte er ihr natürlich das Zauberei, und sie sagte: „O du Niedertracht!“
Das Zauberei kam mit andern besonders schön gefärbten Ostereiern und sonstigen Andenken, darunter eine Locke von Harys blondem Stirnschopf, in Kättys geheimste Schublade.
Dort blieb es liegen, nachdem die andern Eier längst zu Staub verfallen waren.
Erst hatte es sich wunders was darauf eingebildet, daß es nicht mit in Staub zerfiel. Dann wurde ihm allmählich die Zeit lang. Hary und Kätty waren längst ein Paar geworden, hatten Kinder groß gezogen - das Porzellanei verträumte unverändert die Jahre in seinem Schubladengefängnis. Es seufzte: Ach, wer doch auch ein sterbliches Ei wäre, um den Weg alles Staubes gehen zu können!
Es geschah, daß ein Sohn von Hary und Kätty das Ei entdeckte und es einmal an Ostern mit auf die Brautschau nahm. Seine Braut, der er es schenkte, war sehr praktisch veranlagt. Sie wusch die Farben von dem Ei ab und gebrauchte es als Nestei.
Das war für den Helden der Geschichte noch langweiliger und besonders unrühmlicher. Jeder, der über Hühnernester und Eierlegen einigermaßen Bescheid weiß, kann sich die Leiden des Porzellaneies im Einzelnen ausmalen.
Und so liegt denn der arme Ei-Ahasverus mit seiner Unsterblichkeit da und flucht seinem Schicksal.
Jawohl, wünscht Euch nicht Unsterblichkeit, seid lieber ein Naturei. gelegt, gefärbt, gesotten, geschält, gegessen, eingeschaltet in den ewigen Kreislauf des Seienden.