Wissen Sie, woran Sie merken können, daß Luxemburg allmählich Großstadt zu werden beginnt?
Daran, daß immer weniger Häuser mit Ölfarbe gestrichen werden.
Die ölgestrichene Hausfassade ist das allertypischste Zeichen der Kleinstadt. Sie und der Dackel, der sich mitten auf die Straße legt und sich sonnt, die Schnauze zwischen den Vorderpfoten. Wenn ich mir eine liebe alte biedermeierliche Kleinstadt vorstellen will, so denke ich mir ein Haus, das im Grün von Tannen und Obstbäumen weiß in der Sonne glänzt, in seinem funkelnagelneuen Ölfarbenanstrich, der alle drei oder längstens alle fünf Jahre erneuert wird, weil es der Besitzer dazu hat, weil er als betriebsamer Geschäftsmann Geld verdiente und keine Gelegenheit hat, es unter die Leute zu bringen. Und vor dem Haus auf dem weißen Pslaster mit den glatt und rund geschliffenen Steinen liegt der Dackel oder der Jagdhund und schläft, nur wenn ein Auto in der Ferne schnarcht und bellt, blinzelt er einmal und wartet, ob es wirklich an dem ist, daß er sich aus seinen Träumen emporreißen muß, um diesem Geschöpf des Teufels aus dem Weg zu gehen.
Früher gab es in Luxemburg viele Häuser, die sich durch teuern Ölanstrich vor ihren Nachbarn hervortaten. Sie waren, wie Frauen, die vor den andern in Samt und Seide glänzen und verächtlich auf das billige Zeug herabblicken, mit dem die Frauen ohne Vermögen sich begnügen müssen. Man sieht heute nur noch selten diese blinkenden Fassaden. Einerseits, weil die Ölsarbe entsetzlich teuer geworden ist, zweitens, weil eben, wie gesagt, Luxemburg Großstadt wird, und der Ölfarbenanstrich nicht mehr in das Straßenbild paßt. Die ölgestrichenen Fassaden blättern allmählich ab und erhalten einen dauerhasten Bewurf, und den schlafenden Dackeln ist es schon längst nicht mehr auf dem Pflaster gemütlich.
Wenn wir uns jetzt noch dazu aufschwingen könnten, unsere Häuser mit Nummern zu versehen! Auch das ist ein Zeichen der Kleinstadt, daß so viele Häuser unnumeriert in der Reihe stehen, weil in der Klein- stadt die Menschen noch nach Namen statt Nummern kenntlich gemacht werden. Wir, die wir hier daheim sind, brauchen keine Nummern, wir adressieren unsere Briefe für die Stadt nur nach Namen, wenn es hoch kommt nach Straßen, in den seltensten Fällen nach Nummern. Wir wissen, daß alle Briefträger alle Stadtinsassen kennen und jeden Brief gradenwegs an seine Bestimmung befördern. Aber wenn ein Fremder im Stadtinnern - zumal im Stadtinnern, draußen an der Peripherie geht es schon besser - nach einer Hausnummer suchen muß, ist er oft übel dran. Manche Häuser haben gar keine, bei andern ist sie so angebracht, daß man sie erst nach langem Suchen entdeckt, meist ist sie derart verblaßt, daß sie in der Umgebung ganz verschwindet. Von einem einheitlichen Zifferntypus, nach einheitlicher Vorschrift angebracht, ist keine Rede. Ich wurde auf den Mangel aufmerksam, als mich dieser Tage ein Fremder auf französisch in der Großstraße nach einer bestimmten Nummer fragte. Er hatte schon die ganze Straßenzeile abgesucht und sich dadurch auffällig gemacht, daß er vor jeder Haustüre stehen geblieben war und seinen Klemmer zusammengebogen hatte, um durch das dopelte Glas schärfer zu sehen. Wir gaben uns selb ander ans Suchen, vergebens. Zuletzt frug ich ihn, ob er mir denn nicht sagen könne, wer denn in dem Haus mit der unauffindbaren Nummer wohnte. Ei freilich, der Herr Durand! Ja, warum er denn das nicht gleich gesagt hatte! Der Herr Durand, natürlich, den kannte doch jedes Kind! Der wohnte doch gleich da vorn.
Als wir den Durand lokalistert hatten, fanden wir auch die Nummer. Sie war mikroskopisch klein und von derselben Farbe, wie die Hausfront.
„Unsere Hausnummern in Paris sind größer,“ sagte der Fremde.
Ich gab das zu. Und es wird sicher noch eine Weile dauern, bis wir so große Hausnummern bekommen, wie es sie in Paris gibt.