Original

21. April 1923

„Morgen,“ sagte mein Freund Schang, „morgen gehen vier Fuder Einundzwanziger in die Stadt.“

Er sagte es, wie ein Vater von seinem Sohne sagt, daß er in die Stadt geht, um Staatsminister oder Bischof zu werden:

Als ich darauf so obenhin frug, mit welchem Autolastwagen der Transport vor sich gehen werde, schaute mich Schang zornfunkelnden Blickes an und zischte:

„Autolastwagen! Denkt nicht dran! Nach Väterweise fahren wir unsern Wein in die Stadt!“

Er beruhigte sich allmählich, zuckte nur noch hohnlächelnd die Achseln über meine Idee, daß sie ihren Wein per Stinkjabel befördern sollten.

„Ich kann mir nicht helfen, aber ich meine, ein Faß Wein, das auf einem Lastauto transportiert wird, muß nach Benzin schmecken.“

Also kamen die vier Fuder, wie gesagt, nach Väterweise. Vier einspännige Bauernwagen waren dafür mobilisiert. Auf jedem Wagen lag ein Fudersaß auf seinen Kissen von Rebfäschen, mit Sperrkette und Stange festgebunden. Davor der Hafersack. Und jeden Wagen zog ein Rößlein aus dem Moseltal über die Höhen und durch die Täler bis vor den Keller in der Stadt, für den der Wein bestimmt war.

Ihr kennt sie, diese Weinwagen, die manchmal vor diesem und jenem Haus halten. Merkt Euch die Häuser, es sind nicht die schlechtesten. Werktäglich und erdfarben sehen Wagen, Faß, Pferde und Mannen aus. Morgens früh mit Tau und Tag sind sie daheim losgefahren, damit sie mit dem kostbaren Naß nicht in des Tages Hitze geraten. Vier, fünf, sechs Stunden dauerte die Fahrt. Und sorgenvoll ging der Fuhrmann bergauf neben dem Gefährt, in Sinnen darüber versunken, ob er den Wein nicht doch noch zu billig hergegeben hat, und was er mit dem Geld am zweckmäßigsten beginnen, wie er es anfangen wird, sich in daß seine Liß dahinter kommt.

Zum Kaffee in der Stadt wird das mitgebrachte Schinkenbrot verzehrt, das Faß wird geleert, der Empfänger zahlt das Geld auf den Tisch, wie abgemacht, und jammert über den schlechten Handel. Und dann gehört der Tag dem Mann von der Mosel.

Ich verrate ihn nicht.

Und das Rößlein findet blindlings heim. Es kennt unterwegs die Häuser, vor denen Halt gemacht werden muß.

Zu unserm Grächen gehört die Primitivität dieses Transports. Sie stammt aus der Zeit, wo sich der Luxemburger noch ein Fuder Wein an der Mosel kauften, wie sie sich heute einen Schinken im Ö kaufen, womöglich für dasselbe Geld. Aus der Zeit wo sich der deftige Bürger, wenn der Jahr geraten war, ein Faß in den Keller legte, wo in den Kellertüren in der Mauer die kleine umge Nische war, die man stellenweise noch heute sehen kann, und in die das obere Ende des Schrot gestemmt wurde.

Für den Moselaner war solche Fahrt mit der vollen Last durch den werdenden Tag immer etwas Besonderes, die Endphasis in einem Prozeß, der viel Arbeit, Sorge, Hoffnung und Enttäuschung wieder Sorge und Arbeit bestand.

Die Endphasis, aber nur diese, hat ihm heute das Lastauto abgenommen. Nur wer am Alten und hängt, wie mein Freund Schang, der läßt noch den Wein nach Väterweise in die Stadt fahren.

Er selbst aber reist ihm vielleicht per Bahn und probt ihn bei Staar mit alten Freunden so lange bis feststeht, welches von den vier Fü beste ist.

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