Nach allgemeinem Dafürhalten besteht ein gewisser Unterschied zwischen einem Pferdegespann und einem Automobil.
Weniger selbstverständlich, aber womöglich noch tiefgründiger ist der Unterschied zwischen einem Kutscher und einem Chauffeur.
Ich sah vorhin kurz nacheinander ein vornehmes Diplomatenauto und eine Hofequipage vorbeifahren.
Der Gesandtschaftschauffeur lag in seinem Sitz lässig und bequem, wie in einem Klubsessel, und schraubte mit gemächlicher Grandezza seine spiegelnde Limousine um die Ecke.
Der großherzogliche Kutscher saß auf dem Bock, jeder Zoll an ihm eitel Feierlichkeit und Gespanntheit. Leicht vornübergebeugt, die Arme in einem Winkel von 112% Grad ausgestreckt, Zügel und Peitsche kunstgerecht in den beiden weiß behandschuhten Fäusten zusammengefaßt, die wappengezierte Decke vorschriftsmäßig um die Kniee gewickelt, so saß der weißhaarige, glatt rasierte Hofkutscher auf dem Bock, ein Bild gespanntesten Pflichteifers, bereit, bei den leisesten Ausreißvelleitäten der beiden feurigen Rappen die Zügel zu straffen und sich hinterrücks mir aller Kraft gegen das Verhängnis zu stemmen.
Das ist wesensbestimmend für Chauffeur und Kutscher: daß der eine über einen Mechanismus ohne Nerven und Bewußtsein und Instinkt gesetzt ist, der in einem gesetzmäßigen Ablauf vorgesehener Kraftentsaltungen arbeitet, der andere über lebende Wesen, die als solche behandelt sein wollen und die auf Zorn und Sanftmut, auf Bosheit und Freundschaft adäquat reagieren.
Demgemäß ist der Chauffeur ein Mann, der mit fremden Nerven und fremdem Empfinden nur nach einer Seite, der Seite der Herrschaft, zu rechnen hat, während der Kutscher zwischen Herrn und Gespann als zwischen zwei Gruppen von Lebewesen lavieren muß, deren jede in ihrer Art an der Bildung seines Charakters mitarbeitet.
Und da im Allgemeinen und im Durchschnitt der Kutscher alten Stils ein besserer Mensch ist, als der Chauffeur, so ergibt sich von selbst, daß der Einfluß des Pferdes auf den Menschen wohltuender sein muß, als der Einfluß von Seinesgleichen.
Denn der alte Kutscher ist der bessere Mensch. Schon weil es alte Kutscher, aber keine alten Chauffeure gibt. Der unter normalen Umständen alternde Mensch muß mit sechzig Jahren besser sein, als mit dreißig, und mit siebzig noch besser, als mit sechzig. Das hat er mit dem Wein gemein. Freilich, es muß ein guter Jahrgang sein. Denn was im Most nichts taugte, wird auch auf der Flasche nichts Rechtes.
Wer sich als Kutscher ausgab, mußte seine Sache verstehen. Es genügte nicht, daß einer sechs Monate einen Stall ausmistete und die Pferde zur Tränke ritt, damit er ein rechtschaffener Kutscher wurde. Eher konnte einer Virtuose auf dem Klavier oder der Geige werden, als ein richtiger Kutscher. Vom Stalljungen bis hinauf zur Würde dessen, dem die Herrschaft ihre Knochen anvertraute, war ein weiter Wegwährend heute zur Not in sechs Monaten ein leidlicher Chauffeur zu backen ist.
Kompliziert, schwerfällig, lächerlich umständlich ist die alte Equipage gegen das Auto, aber sie hat die Feierlichkeit alles Zeremoniells, und ein Daumontgespann mit sehnigen Juckern, in deren gestriegelter Haut die Sonne blinkt, wenn darunter die Muskeln spielen, bleibt immer ein Anblick von absoluter Schönheit. So wird niemals der perfekteste Chauffeur zu einer Erscheinung voller Stil und überlieferter Kultur werden, wie ein herrschaftlicher Kutscher, der ein Exponent seiner Herrschaft und ein Exponent seines Stalles ist. Wenn der alte Leibkutscher Großherzog Adolphs, Papa Koller, auf Gummirädern viere lang durch die Straßen jagte und mit befehlerischem Hep! um die Ecke lenkte, so wirkte das ganz anders feierlich, wie wenn heute der impertinenteste Chauffeur die üppigste Limousine mit dem aufregendsten Gehupp über den Paradeplatz steuert.
Nur daß er schneller fährt, freilich.