Original

28. April 1923

Hand! Sinngeschwelltes Wort. Werk, desgleichen. Zusammen Handwerk. Das weckt die Vorstellung der Arbeit in ihrer anziehendsten Form. Das Werk der Hand ist das kostbarste, das Menschen erzeugen, denn ihr Wille, ihr Können, ihr Bestes fließt mit hinein und es trägt die Spuren ihrer Persönlichkeit.

Wenn ich mir einen Handwerker denke, ist es unwillkürlich immer ein Schuster. Ist aber in der Politik vom Handwerk die Rede, fällt mir immer der Schreiner ein. Der Schreiner, der in gefährlicher Nähe des Maschinenbetriebs sich bewegt, der auf dem Punkt ist, vom Kapitalismus überrannt oder aufgesaugt zu werden. Bei ihm kann es sich schon um Beträge handeln, die ein halbes Vermögen bedeuten, der Luxus des Lebens kann an seine Leistungsfähigkeit die äußersten Forderungen stellen und es mag ihm passieren, daß er von heute auf morgen unter die Räder kommt. Er spielt sich nicht selten als Künstler auf, redet von schwierigen Zeichnungen, die er entworfen hat, von der Zeit, wo er noch Bildhauerei betrieb und kostbare Möbelschnitzereien ausführte. Und an den Montagen, wo ihm die Arbeit nicht zusagt, erklärt er nachdenklich, er müsse „ausmessen“ gehen.

Der Schuster tut es billiger. Er dreht sich einen blauen Montag, ohne groß nach Vorwänden zu suchen. Er ist überhaupt ein Philosoph, für den die Umschweife in der Rede nicht lohnen. Er begegnet aller Unbill des Lebens mit trockenem Humor und mit entschlossenem Willen, es kurz zu machen.

Er ist ein ganz anderer, als der Schneider, den man sich als den krähenden Revoluzzer vorstellt, oder der Schmied, den die Literaten als den brutal gutmütigen Kraftmenschen schildern.

Ich habe mein Leben lang manchen Schuster gekannt, aber keinen, dessen Freund ich nicht gern gewesen wäre. Erst suchte man schon als Kind sich in die Gunst des Schusters zu schleichen, damit er einem die Schuhe nach Wunsch machte - nicht zu „völlig“, wie Mutter verlangte - und mit viel Kolophonium darin, damit sie ordentlich „kreckelten“. Dann wurde einem der Schuster lieb, weil er ein Neues ins Familienleben brachte, weil er Tage lang ins Haus tam, am Fenster saß, umgeben von dem bittern Lederund Pechgeruch, und Geschichten erzählte, die er bei seinem Herumkommen auf allen Dörfern der Nachbarschaft gehört hatte. Und noch später freute man sich an der Lebensweisheit, die sich der Pichert beim Sohlenhämmern und Pechdrahtziehen zu seinem Hausgebrauch zurecht gemacht hatte.

Heute noch kenne ich einen Schuster, den ich bewundere, zu dem ich eigenhändig meine Schuhe zum Sohlen trage, um ihn zu sehen, wie er inmitten seiner Gesellen sitzt, vergnügt, gut gelaunt, fleißig und geschickt. Wie aus einem Röman von Jakob Schaffner. Hans Sachs hätte seine Freude an diesem jüngeren Kollegen. Ob er auch Gedichte macht, weiß ich nicht, aber er macht vortreffliche Schuhe. Das ist bei einem Schuster das Wichtigste, sagen sie. Und bei keinem Handwerk kommt es so aufs Solide und Deftige an, wie beim Schuster. Unsere gute Mutter, Erde, die uns nach unserm Tode so zärtlich in ihren Schoß aufnimmt zur ewigen Ruhe, ist uns im Leben oft recht ungnädig, und wir legen den höchsten Wert darauf, so wenig wie möglich mit ihr in unmittelbare, Berührung zu kommen. Dazu helfen uns die Schuhe. Sie sind unser wichtigstes Kleidungsstück und darum ist der Schuster der Mann, auf den es vor allen Dingen ankommt.

Der, den ich meine, ist der Schuster, wie er im Buch steht, der ideale Hand-Werker, der zu seiner Arbeit, zu seinen Gesellen, zu seinen Kunden das trefflichste Verhältnis hat. Und wenn ich ihn so in seiner Werkstatt beobachte, bin ich sicher, daß Handwerk immer noch einen goldnen Boden haben könnte. Wenn nur alle, die heute Geld haben, sich klar wären über die Vorzüge des Hand-Werks vor dem Maschinen-Produkt.

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