Original

29. April 1923

„Und nun der Park?“ sagte der fremde Herr, der im Auftrag eines ausländischen Konsortiums nach Luxemburg gekommen war, um zu ermitteln, ob sich im Interesse des Fremdenverkehrs ein paar Millionen hier auf rentable Weise anlegen lassen.

„Oh, unser Park!“ sagte ich stolz. „Da werden Sie staunen!“

„Das sagte mir schon der Oberkellner im Hotel. Ich bin wirklich neugierig.“

Wir standen an der Neuen Brücke und betraten den Park am Südende, bei dem geretteten Kastanienbaum. Ich behielt den Fremden im Auge, um von seinem Gesicht die Eindrücke abzulesen, die das jeweils Erschaute auf ihn machen würde.

„Hier müßte ein Wässerchen fließen!“ sagte er gleich im untern Park, wo André tatsächlich einen Bach in die Anlagen hineinkomponiert hatte. „Womöglich mit Forellen.“

Ich faßte ihn schärfer ins Auge, ob er mich nicht bluffen wolle.

Wir gingen weiter.

„Wo haben Sie denn Ihre Tennis-Courts?“ frug er jetzt.

„In Schrondweiler,“ sagte ich.

„In Schrondweiler?“

„Verzeihen Sie, es sprang mir so heraus. Wir sagen „in Schrondweiler“ für etwas, was weit weg irgendwo in einer weltfernen Ecke liegt.“

„Hm,“ machte er geringschätzig. „Die Tennisplätze gehören zu jedem Nest heutzutag, wo sich einigermaßen bessere Leute aufhalten. Was soll denn die junge Welt den lieben langen Tag tun, womit ihre überschüssige Kraft verpuffen, wie flirten, intrigieren, rivalisieren? Das Tennis, mein Herr, ist das erste, woran Sie denken müssen, wenn Sie überhaupt darauf reflektieren, daß fremde Familien mit Söhnen und Töchtern zu Ihnen kommen und mehr als vierundzwanzig Stunden bleiben, ohne vor Langweile auszuwachsen.“

Wir waren inzwischen bis zum Kinderspielplatz gekommen.

„Was ist dies?“ frug er. „Wahrscheinlich Überreste einer römischen Villa?“ mit Bezug auf die zerfallene Einfassung des Springbrunnenbeckens.

„Dies ist der Puppenkirchhof,“ sagte ich.

„?“

„Der Platz heißt so, weil er früher als botanischer Garten diente, in dem jede Pflanze durch ein Täfelchen bezeichnet war. Die Täfelchen sahen aus, wie Puppengrabmäler.“

„Sehr originell.“ gab er zu. „Aber hier wäre zum Beispiel ein vorzüglicher Platz für ein paar TennisCourts. Dort drüben, den Abhang an der Straße entlang, ließen sich Sitzreihen für die Zuschauer amphitheatralisch anbringen. Sie würden dies idealste aller Freiluftspiele ungeheuer popularisieren.“

„Sprechen Sie mit Herrn Marcel Cahen,“ meinte ich, „der bringt alles fertig.“

So wandelten wir weiter den Park hinauf.

Nach langer Pause, während der er forschende Blicke nach allen Richtungen gesandt hatte, fragte der Fremde:

„Und wo ist jetzt Ihr Parkrestaurant?“

„Was meinen Sie?“

„Nun ja, das Restaurant, die Molkerei, der Pavillon, der Kiosk .... zum Teufel nochmal, das Lokal meine ich, in dem die Parkbesucher einkehren und eine Erfrischung zu sich nehmen können, oder wo sie sich auch nur unterstellen können, wenn sie vom Regen überrascht werden!“

„Ja,“ mußte ich kleinlaut bekennen, „das haben wir nicht. Das gab es früher in der Villa Louvigny - da, wo heute die Haushaltungsschule ist - und in der Villa Amberg, die ist schon lange abgebrannt.“

„Ihr seid zu solide und zu tugendhaft, das merke ich schon,“ sagte der Fremde kopfschüttelnd. „Versucht lieber nie, eine Touristenstadt zu werden. Wenn man einen Park hat, wie diesen, und läßt es dahin kommen, daß daraus jede Erfrischungs- und Zufluchtsmöglichkeit verschwindet, dafür aber Hühner- und Schweinezucht darin betrieben wird, dann gehört man zu den Knoten, die in ihrem Salon Kartoffeln schälen. Wo sollen, denn Eure Kinder in Euerm gepriesenen Park auch nur ein Glas Milch trinken? Wo gebt Ihr in demselben Park die schönen Sommerkonzerte, zu denen er herausfordert? Wo feiert Ihr die Sommernachtfeste, die Ihr verwöhnten Gästen so herrlich bieten könntet, wie selten eine andere Stadt? Ihr seid gottverlassene Philister, denen die schönsten Instrumente in die Hand gegeben sind, aber die nicht darauf spielen können. Euch ist nicht zu helfen!“

Ich war tief beschämt, umso tiefer, als ich dem fremden Herrn recht geben mußte. Wenn es so weiter ginge, so wäre uns wirklich nicht zu helfen.

TAGS
  • critique of parc
KatalognummerBW-AK-011-2385