Original

6. Mai 1923

Im Stadtpark ist jetzt die grüne Zuflucht vor dem heißen Tag, der draußen lärmt und staubt. In die Stille herein dringt hinter dem Schutzwall von Laub das Huppen, Schnattern, Schnarchen und Fauchen der Automobile, das Läuten der Elektrischen, die um die Ecke biegt und aus den Schienenseiten einen singenden Ton streicht, durch die Lücken im Grün steht man auf dem grausam belichteten Straßenband flimmernde Gestalten vorbeigleiten, von Sonne umzittert. In der Erde knistert das Wunder des Werdens. ...

In einer Senkung breitet sich wie die Decke eines Ruhebettes der festlich prangende Rasen, mit fettem Grün, das die gesund gelben Flecken des Löwenzahn bestirnen. Die pompösen weißen Schirmkuppeln des Bärenklau wiegen sich feierlich auf schlanken Stengeln, Schatten der Amseln, die durch die Äste streichen, huschen weich über die stille Fläche. Und inmitten dieser glühenden Vormittagspracht stehen Kinder in bunten Gewändern, drei, vier Büblein und ein Mädchen. Schnell, ein Hans Thomä her, um sie zu malen! Oder ein Ludwig Richter, oder ein Moritz von Schwind So ganz die Erfüllung eines Romantiker-Traumgesichts sind sie.

Ich bleibe in freudiger Überraschung stehen und betrachte das Bild mit innigem Genuß.

Schon hat mich das kleine Mädchen erblickt, sie pufft einen der Buben unauffällig in die Seite und wetterleuchtet mit den großen blauen Augen nach mir herüber. Er erschaut mich mit seindseligem Blick, läßt heimlich die zwei, drei Blumen, die er schon gepflückt hatte, in den Rasen fallen und dreht mir den Rücken.

Im Nu ist aus der Gruppe alle Freude fortgeflogen, wie bunter Vogel aus zerbrochenem Fenster.

Ich sehe den Armen die Angst an, die sie erst tapfer unter schlecht gemachter Unbefangenheit, verbergen. Sie tun, als ob sie so im Gespräch unversehens auf den Rasen-geraten wären und ohne sich etwas dabei zu denken nun auch wieder auf den Pfad zurückfänden.

So wie sie aber den Parkweg unter den Füßen hatten, stoben sie nach einem letzten raschen Blick aus Angstaugen in allen Richtungen auseinander, wie Verbrecher nach einem Mord.

Und da kam mir auf einmal der drollige Gedanke, ich sei der liebe Herrgott und jene Kinder seien die Menschen, die sich vor mir fürchteten, wie sich ja soviele Menschen vor der Gottheit fürchten, sobald sie sich bei einem Genuß, bei einer besondern Freude an der Schöpfung überraschen. Sie haben es im Instinkt, daß jede Frucht eine verbotene Frucht sei, die ganze Welt ein Park, in dem der Herr das Betreten der Rasenplätze bei Strafe der ewigen Verdammnis verboten habe.

Ich wollte den Kindern zurufen: Ihr dummen Kinder, lauft doch nicht fort, freut Euch an dem Rasen, in dem es sich knöcheltief so schön watet, und wenn Ihr auch einmal eine wildwachsende Blume abrupft, so schadet es nichts, es sind genug da und sie wachsen immer wieder nach. Ihr gehört in die Frühlingspracht hinein, denn wo Ihr nicht seid, malen Euch die Maler extra hin, bleibt ruhig stehen und denkt nicht, ich sei der Parkwächter, der Euch an den Ohrwascheln kriegt, wenn Ihr nicht fortlauft, oder Euch ausschreibt, damit Eure Papas je drei Franken bezahlen müssen und sich über Euch ärgern.

Aber es hilft nichts, sie können mich nicht hören, sie laufen und haben sich und mir die Freude verdorben.

Und ich werde den Gedanken nicht los, daß es genau so dem lieben Herrgott mit manchen Menschen geht, die ängstlich vor ihm davonlaufen, statt sich an seiner Schöpfung da zu freuen, wo sie am schönsten ist.

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KatalognummerBW-AK-011-2389