Original

12. Mai 1923

Wie sollte ich heute nicht vom Wetter reden, nachdem es uns den naßkalten Strich durch die Rechnung gemacht hat, als wir schon glaubten, wir seien über den Berg! Als schon die Zentralheizung uns als ein überwundener Standpunkt erschien und wir lachten und abwinkten, wenn einer von den teuern Kohlen reden wollte.

Ein wissenschaftlich gebildeter Freund von mir sagte, er sei nie durch den Kälterückfall um diese Zeit überrascht worden. Dieser liege nämlich durchaus in den Naturvorgängen begründet. Und zwar brauche das Steinobst zum Verblühen eine Unmenge von Kalorien, die es alle der Luft entziehe, also sei es kein Wunder, wenn es zur Zeit der Steinobstblüte alljährlich kälter werde.

Wenn Sie sich bei dieser Erklärung beruhigen wollen, so ist Ihnen geholfen. Einstweilen steht man in Hut und Überzieher am kalten Radiator und haucht in die Hände.

Das Dummste aber war der verkorkste Himmelfahrtstag. Dieser Tag gehört überlieferungsmäßig den Stadtleuten, damit sie sich am jungen Waldesgrün satt sehen können. Der Tag ist, wenn er gerät, so schön, wie keiner im Jahr. Ein frommes altes Mädchen sagte einmal: Wie herrlich muß es doch im Himmel sein, daß der Herr grade an diesem Tag die Erde verlassen konnte!

Heuer durfte man sagen: Zum Abschiednehmen just das rechte Wetter. Man bekam Herbstgedanken, während es von blühenden Apfelbäumen einem auf den Hut tropfte und man im kniehohen Gras watete. Huh! diese nassen Frühlingswiesen! Es quietscht in noch so wasserdichten Stiefeln, wie wenn eine Kuh den Hinterfuß aus dem Sumpf zieht. (In einem amerikanischen Roman behauptet der Verfasser, genau so habe es geklungen, als Er und Sie sich heimlich den ersten Kuß gaben.) Der Ginster sucht all die graue Trostlosigkeit von Himmel und Erde gelb und kribbelnd zu überstrahlen, aber er wirkt, wie ein Spaßmacher in einer Trauerversammlung.

Trotzdem hatte die Stadtmenschheit an der Himmelfahrtsüberlieferung festgehalten und war in Klumpen ausgeflogen. Aus Echternach u. a. kommen begeisterte Berichte von herrlichen Wanderungen und köstlichen Stunden beim Funny, und wie die neuen Heilquellen so populär werden, und wie Herr Huby immer noch so galant ist gegen junge Damen, und wie sie getanzt und gelacht und sich amüsiert haben.

Jetzt sieht man auch wieder, welchen Platz die Mosel und ihr Wein in der Vorstellung der Luxemburger ausfüllen. Wenn zwei sich begegnen und vom Wetter reden, fragen sie nicht, wie der Hafer und wie die Kartoffeln geraten, aber was es dies Jahr wohl für einen Wein geben wird. Einer weiß zu erzählen, daß 1910 die Durchschnittstemperatur im Februar höher war, als im Juni, und will damit einen scheußlichen Sommer prophezeien, der andere sagt, 1921 habe sich das Jahr grade so angelassen und es sei doch ein Wunder von Wein gewachsen.

Und so ist es doch trefflich eingerichtet, daß wir nicht wissen, wie das Wetter noch wird, und wie es in der Ruhr ausgehen wird, und wann uns das letzte Stündlein schlägt. So können wir unsere Hoffnungen gegen unsern Pessimismus, unser himmelhohes Jauchzen gegen unsers todtiefe Betrübnis halten und einen anständigen Durchschnitt herausdividieren. Und wer eine Eulenspiegelnatur hat, kann sich jetzt auf die kommenden Sonnentage freuen, die nicht lange mehr auf sich warten lassen können. Jawohl, Ihr lebenslustigen Geschöpfe, die Ihr Euch für nächsten Sonntag das neue Kleid zurecht gemacht habt, in dem Ihr alle Männer zu betören und alle Kameradinnen vor Neid bersten zu machen gedenkt, ich prophezeie Euch für Sonntag das allerschönste Wetter. Nur damit Ihr, wenn es schief geht und wieder gießt von früh bis spät, jemand habt, auf den Ihr schimpfen könnt. Das wird–Euch erleichtern und mich nicht zum Selbstmord veranlassen.

TAGS
  • Wetter
KatalognummerBW-AK-011-2393