Sie sagen, es sei heuer ein Maikäferjahr. Für Buben ist das ein Ereignis, wie für Erwachsene ein Kartoffel- oder Weinjahr. Hier auf der Redaktion erleben wir den Maikäfer nicht mehr als Massenerscheinung und im Zusammenhang mit dem Mai und dem zartgrünen Himmelfahrtsbaumlaub, sondern nur noch als Anachronismus, als Einzelfall, als Phänomen in einer Streichholzschachtel.
Ach, wo sind die Frühlinge, da wir hinauszogen mit Gimern und Botanisiertrommeln, um das schädliche Käfertier in Hekatomben von den Bäumen zu rütteln und einzusammeln! In der Schule hatte man uns vorgerechnet, wieviel Schaden ein Käfer, hundert Käfer, tausend Käfer, eine Million, eine Milliarde, eine Billion, eine Trillion Maikäfer in einer Minute, einer Stunde, einem Tag, einer Woche, einem Monat, einem Jahr anrichten könnten, um uns zur Vernichtung dieses heimtückischen Schädlings anzufeuern. Aber wir dachten gar nicht an den Dienst, den wir damit der vaterländischen Obstbaumzucht erweisen würden, wir hatten nur Rekordzwecke im Sinn. Jeder wollte die meisten Maikäfer gesammelt haben. Wir wurden vom primitivsten Besitzerinstinkt gestachelt.
Man hat für tote Maikäfer immer noch keine besondere industrielle Verwertung gefunden. Als Hühnerfutter kommen sie kaum in Betracht. Mit lebenden Maikäfern dagegen ließ sich allerlei anfangen. Es wirkte großartig, wenn wir sie in einer langweiligen Schulstunde zu Hunderten aus den Taschen ließen und es keiner gewesen war. Auch wurden sie zu zweien, vieren und sechsen zusammen gespannt, um eigens gebaute Wägelchen hinter einem Schirm von Büchern und Heften über die Schulbank zu ziehen, aber sie gaben dann meist ein bedauerliches Schauspiel von Zerfahrenheit, wobei die einen links, die andern rechts, die andern grade aus strebten und andere gar Miene machten, sich mit Wagen und Gespann in die Lüfte zu schwingen, kurzum, ganz wie es früher oft in den Parlamenten fremder Länder zu beobachten war.
Jeder wird mir bezeugen, daß der Maikäfer zum Lebensinhalt der männlichen Jugend gehört. Ich fühle noch heute an den Fingerspitzen und in der Handfläche ein seltsames Krabbeln, wenn ich an ihn denke. Er hat so Manches an sich, was zu Vergleichen herausfordert. Seine Fühler gleichen mit ihren zierlichen Fächern den Kasianienblättern, wenn sie grade aus der Knospe geschlüpft sind, oder einem fein gefältelten Batisttüchlein, das von der Hand einer schönen Frau spitzt gefaßt herunterhängt. Das Schwarz und Weiß am Schuppenpanzer seines Unterleibs hat mich immer an das Preußenlied mit der schwarzweißen Fahne erinnert, seine Flügeldecken mit dem schwarzen Schultereinsatz haben etwas von einem schwerbrokainen Kirchengewand mit abgesetztem Schulterstück, und wenn man den ganzen Kerl auf den Rücken legt, gleicht er einem der bauchigen Frachtkähne, die an den Steinbrüchen unserer Mosel oft wochenlang liegen und nach Teer duften.
Waren wir oft grausam gegen den Maikäfer, so hatten wir doch auch Zärtlichkeitsanwandlungen, zum Beispiel wenn wir an einem Totgeglaubten Wiederbelebungsversuche anstellten. Wie wurde er so behutsam angehaucht, wie bekrabbelten wir ihm liebevoll den Bauch mit dem Zeigefingernagel, um seine Lebensgeister zu wecken! Und wie waren wir darauf bedacht, ihm reichlich Futter mitzugeben, wenn wir ihn in seine Pappschachtel einsperrten.
Der Maikäfer hat unrecht, daß er sich nicht rarer macht und daß er zuweilen in größerer Anzahl auftritt, als es seiner Beliebtheit zuträglich ist. Wir Menschen sollten uns das zur Lehre nehmen.
Und auch ein hübsches Tier ist der Maikäfer, und ich kann es einer gewissen Gegend des Landes nicht verzeihen, daß sie ihm den unästhetischen Namen gegeben hat, der ihn zeigt, wie er auf den Hecken die Konsequenzen seiner Verdauung zieht.
Und zu guter Letzt sei nicht vergessen, in welcher Beziehung der Maikäfer zu der letzten großen Errungenschaft des menschlichen Ersindergenies, dem Flugzeug, steht. An ihm war das ideale Vorbild gegeben, er besitzt in seinen Hornflügeln die Tragslächen und in seinen Florflügeln den Propeller - und die dummen Erfinder meinten, sie müßten den Flug des Adlers studieren!
Kiewerlenk kommSchlo deng Tromm!