Original

25. Mai 1923

Wir wissen uns nicht in Szene zu setzen. Der Sinn für Geltendmachung geht uns ab. Wir sind mehr auf die Sache, als auf den Namen eingestellt. Und doch: Der Name muß oft das Fehlen der Sache verschleiern. Wo Gedanken fehlen, stellt oft ein Wort zur rechten Zeit sich ein. Und so kommt es, daß wir so oft den ärgerlichen Ausspruch hören: Ein Fremder mußte kommen, um uns zu zeigen, was da oder dort herauszuholen war.

Unsere ganze Stadt mit all ihren Eigenarten ist bis auf den heutigen Tag in manchem Betracht ein ungehobener Schatz geblieben. Weil uns das Talent zur Inszenierung abgeht.

Diese pessimistischen Betrachtungen, die ins Weitere greifen, sind durch einen eigentlich sehr geringfügigen Umstand veranlaßt. In einer Einberufung des städtischen Gemeinderates steht, daß die Sitzung stattfindet im «Palais municipal, dans la salle boisée».

La salle boisée ist der getäfelte Saal im ersten Stock. Die Sprachgelehrten haben sich lange um die Berechtigung dieses Ausdrucks gestritten, indem die einen behaupteten, «boisé» bedeute lediglich „bewaldet“ und man könne von einem bewaldeten Saal nicht reden, während die in dem französischen Wort die richtige Übersetzung von „getäfelt“ sahen. Ich will mich in den Streit nicht hineinmischen, sondern nur meiner Genugtuung darüber Ausdruck geben, daß der Saal überhaupt getäfelt ist. Denn sonst wüßte ich wahrhaftig nicht, wie er bezeichnet werden könnte. Es sind auf demselben Stockwerk außer dem Festsaal vier Nebensäle, von denen nur einer getäfelt ist. Der getäfelte ist ja nun glücklich getauft. Aber wie nennen sie die andern? Ohne die Täfelung müßte der Sitzungssaal heißen: Der Saal schräg gegenüber der Treppe. Für die andern müßten ähnliche Bezeichnungen gefunden werden. Nach Nummern wird man sie hoffentlich nicht nennen wollen, das hätte einen zu unfestlichen Beigeschmack. Und die Namengebung für diese Räume läge doch so nahe.

Die Stadt führt ein goldenes Buch, in das die Namen ihrer Wohltäter eingetragen werden, zum ewigen Andenken und zur Aufmunterung für fernere Wohltäterkandidaten.

Damit kommen diese Namen aber nicht in den Mund der Leute und ihr Beispiel steht nicht vor aller Augen. Der Zweck wird nicht erreicht.

Warum verwendet man nicht zu allerhand öffentlicher Etikettierung - auch außer der Straßenbenennung - die Namen von Luxemburgern, die sich um das städtische Gemeinwesen verdient gemacht haben? Warum werden die einzelnen Räume im städtischen Saalbau nicht nach Bürgern genannt, die der Stadt Wohltaten erwiesen haben? In einem Bau, wie dem Cercle, wäre es doch wahrhaftig angebracht, daß z. B. Bürgermeister, an deren Amtszeit das Andenken in der Einwohnerschaft fortlebt, durch die Benennung der einzelnen Säle nach ihnen geehrt würden. Ein Saal Servais, ein Saal Brasseur, ein Saal Mousel - da ja unter Bürgermeister Mousel der Cercle-Bau beschlossen wurde - würden sich mindestens so gut ausnehmen, wie ein getäfelter Saal, ein Saal links, ein Saal gegenüber der Treppe usw. Und vielleicht gibt es noch einen weiteren Saal, dem man zum Beispiel den Namen Tony Dutreux geben könnte, denn dem Luxemburger, der diesen Namen trägt, verdanken wir die mustergültige Vollstreckung des Testamentes, das der Bürgerschaft die Stiftung Pescatore geschenkt hat, und wer Augen hat, zu sehen, kann mühelos feststellen, daß auch der CercleBau „seines Odems einen Hauch verspürt hat“.

Das Andenken an die Besten eines Volks ist immer ein Wert, mit dem die Gemeinwesen Haus halten in dem Maß, wie sie ihrer selbst bewußt geworden sind.

Bei uns liegen noch viele, viel zu viele solcher Werte unbeachtet in den Ecken herum, indes die Lebenden sich selber in die Front drängen und die Knopflöcher gierig hinhalten.

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