„Bondorfer Mühle, 26. Mai, morgens.
Sehr geehrter Herr!
Ich fühle mich veranlaßt, Ihnen einen Abschiedsbrief zu schreiben. Mein Name ist Fario Trutta, ich bin zurzeit Oberforellerich in der Sauer von der Mündung des Syrbaches bis zur Miserebrücke. Bald werde ich es nicht mehr sein. Ich habe dieses Leben satt
Ich will nicht undankbar sein. Ich will gerne anmerken, daß ich hier Zeit meines Lebens schöne Tage gesehen habe. Wir haben ein herrliches Wasser, glasklar und quellfrisch. Rauschende Bachschnellen wechseln ab mit breiten, stillen Mühlenteichen, bald schwanken im Bett, von der Strömung gekämmt, die langen grünen Strähne des Nixenhaares, bald stemmen trotzige Felsblöcke ihre Schultern gegen die e Flut, und Sie glauben gar nicht, wie wohlig es einen in den schaumigen Strudeln hinter solchen Hindernissen umtreibt und was das Wasser da allerhand für Leckerbissen anschwemmt. Und in der klaren Flut, die zwischen Wiesenufern, Wald und Fels hinwandert, spiegeln sich die öslinger Berge mit ihren Tannen und Eichen und Buchen, mit ihrem Ginster und ihrem Heidekraut, und darüber hin streichen die sten der Lüfte.
Es war eine Lust zu leben. Meine Familie ist hier und die Bondorfer und die Bauschleidener Mühle seit Menschengedenken ansässig. Sie müssen meinen Urgroßvater gekannt haben. Er wurde vor zirka fünfundzwanzig Jahren von einem Herrn Moris im Gewicht von drei Pfund gefangen. Im Hotel Hames n sie bei feierlichen Gelegenheiten noch heute n.
Ach ja, es waren schöne Tage, und die Liebesfahrten herauf! Reden wir nicht weiter davon. Wenn ich denke, wie lange ich Sie alle nun schon kenne: Den mit dem großen Bart, der immer die Grübchen in den Wangen bekommt, wenn er einen schönen Fang gemacht hat. Und die blonde Dame, die so geschickt die Fliege wirft und die bei jedem Anbiß Augen macht so blau wie die Sauer, wenn der blaue Himmel hineinscheint. Und der andere mit der großen Sonnenbrille, vor dessen Spinnfischlein niemand von sicher ist. Und dann der mit der tadellosen englischen Ausrüstung, mit den Gummistrümpfen und den künstlich durchlöcherten Schuhen, der knietief ins Wasser gehen kann, ohne sich eine Zehe zu nässen und die sicherlich der gewissenhafteste Fischer sauerauf ab ist. Übrigens, Sie habe ich auch dieser Tage wieder einmal gesehen. Ich saß grade in meiner Lieblingsstrudelecke, als Sie mit dem kleinen Förstersjungen angewatet kamen: „Dort drüben in der Ecke eine sitzen oder die Schrift ist falsch!“ sagten Sie und warfen mir Ihre beiden Fliegen direkt vor die Nase. Es war eine Red Quill und eine Stone-Fly. die ich nicht so mit allen Wassern gewaschen, ich hatte wahrscheinlich zugeschnappt. Aber damals lag mir noch mehr am Leben, als heute, und ich sah Ihnen belustigt zu, wie Sie nach mehreren vergeblichen Wiederholungen Ihres Wurfes weiter durch die nassen Wiesen patschten. Wären Sie ein paar Tage ter gekommen, sicher wäre ich Ihnen in selbstderischer Absicht an die Angel gegangen.
Heute ist ein trüber, trübseliger Tag. Meinem Kalender nach müßte die Sonne warm auf den Fluß inen. Statt dessen türmen sich graue Wolken über den Bergen und alle Augenblicke wird die Wasserche kribbelig undurchsichtig von Regentropfen. Ich bin allein. Meine letzte Frau ist von einem Ausflug auf der Untersauer nicht zurückgekommen. Ich hatte ihr eindringlich genug abgeraten. „Du kommst beim ldinger Wehr totsicher nicht wieder herauf,“ Hätte ich ihr gesagt. „Du weißt doch, wie es ist, seit das neue Wehr gebaut ist. Früher bekamen wir einen Herbst von unten herauf massenhaft Logierbesuch von Hochzeitspärchen, deren Nachkommen sich zum Teil hier ansiedelten. Heute sind wir vereinsamt. nicht gelernter Akrobat ist, kommt die Erpelger Fischleiter nicht herauf, also bleibe ruhig us!“
Sie hörte nicht auf mich. Lange blieb sie verschollen, bis ich dann von Hörensagen erfuhr, sie sei an jener Vermaledeiten Erpeldinger Fischleiter mit dem Hebekahn abgefangen worden, während sie sich vergebens mühte, sich die erste Stufe hinaufzuschnellen.
Seither ist mir das Leben verleidet. Ich fürchte, das sterben hier ganz aus. Ich will nicht allein hier herumschwimmen und Trübsal auf Noten blasen. Außerdem fange ich an, etwas unbeholfen zu werden. Kürzlich hatte ich nur zwei Dutzend Ellritzen ver und bekam davon Magendrücken.
Ich will in Schönheit sterben. Ich habe immer gehört, wir Forellen seien der Sportfisch par excellence. So will ich als Sportfisch sterben und einem echten Sportsmann an die Angel gehen. Von Herrn ippe Hames hörte ich, daß heute Herr H. de Wendel fischen kommt. Den kenne ich schon lange, der hatte mich schon ein paarmal am Haken. Von seiner Hand will ich sterben. Leben Sie wohl und grüßen Sie mir die andern.
Ergebenst
@Ihr Fario Trutta,
Oberforellerich.“
Ich hatte kaum diesen Brief gelesen, als ein anderer von Bauschleiden ankam, folgenden Inhalts:
„Ihnen zur Mitteilung, daß gestern Herr H. de Wendel eine Forelle von 8 Pfund 450 Gramm in der Sauer bei der Bondorfer Mühle gefangen hat. Ich erinnere mich, daß Herr Moris vor fünfundzwanzig Jahren eine von 3 Pfund hier gefangen hat, was eine große Seltenheit war.“
Also hat er wirklich Schluß gemacht, der arme Fario Trutta.