Ein Eingeborener von Neudorf schreibt mir über allerhand, was ihm im Interesse seiner Orischaft am Herzen liegt. An die Spitze seiner Ausführungen stellt er die Losung: Neudorf-Ausflugsort.
Faktisch, warum sollte Neudorf nicht so gut Ausflugsort werden, wie Hesperingen und Walferdingen? In meiner früheren Jugend machten wir keinen Unterschied, wir aßen unsere „Kochtekässchmieren“ ebenso oft und gern und gut beim Thills Pe’tchen in Neudorf wie bei Barthels im Rollingergrund oder in der „Hölle“ in Walferdingen. Neudorf hat landschaftlich einen ganz besonderen Reiz. Es liegt zwischen seine Felsen gebettet, wie ein Schwarzwaldstädtchen, wie Rippoldsau oder die Kniebisbäder. Und die Nähe der großen Brauereien bietet die glänzendste Gewähr für einen vorzüglichen Trunk aus erster Hand.
Ich bin persönlich Neudorf für allerhand schöne Erinnerungen Dank schuldig. Es spielt mit wunderbar farbigen Bildern in meine Kindheit hinein. Wenn wir „mit der Prozession kamen“, war es in Neudorf schon heller Morgen und die Schauer des nahenden Großen, des Aufstiegs durch die hallenden Festungstore und der verschwenderisch ausgegossenen Herrlichkeiten der Stadt durchdrangen uns. Die „Engelchen“ wurden in einem befreundeten Hause angezogen und ihrer Lockenwickel entledigt, die Sänger tranken einen Rachenputzer und summten Stellen aus dem schönen «Ave maris stella», das sie allein von allen Gesangvereinen konnten. Und der Frühlingszauber war überall, in dem zarten Grün der Hecken und Wiesen und in den jungen und alten Herzen.
Einmal stand, während wir betend die schöne breite Straße hinunterwallten; rechts auf einem turmähnlichen Felsen ein junges Mädchen mit einer Ziege, scharf gegen den hellen Morgenhimmel abgehoben. Diese Neudorfer Dinorah wurde meiner kindlichen Phantasie der Prototyp aller abenteuerlichen Geschichten, die ich später las und in denen ungebändigte Heldinnen, Comtessen oder Zigeunermädels eine Hauptrolle spielten. Vielleicht lebt sie noch, vielleicht liest sie dies und erinnert sich, daß sie damals in jugendlichem Übermut das Wagestück ausführte, um diese Bauern drunten zu verblüffen.
Neudorf hat die Vornehmheit der Dörfer, durch die schöne breite Straßen führen, wie Mamer, Dippach, Niederkerschen, Frisingen, Heinerscheid usw. Es fehlt dort nicht an Lokalen mit guter Verpflegung, und die Zuwege führen über die herrlichsten Promenaden, die es um die Stadt herum gibt, ob man von rechts oder links, über den Tavion oder über Weimershof, hingelangen will. Überall kommt man über Punkte, von denen die Stadt und Umgebung von ihrer malerischsten Seite in die Erscheinung tritt, und über Wege, auf denen auch der Kundige immer wieder neue entzückende Ecken und Eckchen entdeckt.
Mein Korrespondent hat, wie gesagt, allerhand Anliegen. Erst erzählt er, wie am letzten Sonntag die Mitglieder des Brauerverbandes, über hundert Mann stark, die Brauerei Mousel in Clausen und die Brauerei H. Funck in Neudorf gelegentlich eines Ausflugs dorthin besuchten, wie sie dann beim Fissen Ed. ein Mittagessen zu über hundert Gedecken einnahmen, wie sie Neudorf als Ausflugsort priesen, wie interessant es für Ausflügler wäre, die Musterbrauereibetriebe in Clausen und Neudorf zu besichtigen, wie am 10. Juni der Tram eingeweiht wird und die Neudorfer dann fingen können: „Dat sie nun och de We hu fondt - Zum e’weg gro’ße Völkerbond“, wie die Clausener Gesellschaften sich schon auf die Einweihung freuen und wie es nicht nett von diesen war, die Reudorfer nicht zur Einweihung des neuen Springbrunnens auf dem Brückenplatz in Clausen einzuladen. Mein Korrespondent bringt ferner in empfehlende Erinnerung, daß am 24. Juni in Neudorf großes Turnfest auf dem schönen alten Schulplatz stattfindet, der hoffentlich bald mit einem Kiosk geschmückt wird, und er beantragt, daß für die nächste Kirmes die Budenplätze durch die Gemeinde versteigert werden, weil sonst der Zudrang zu groß würde usw. usw.
Da kann ich bloß sagen: Sich regen bringt Segen, und Neudorf for ever!