Original

8. Juni 1923

Herr de Waha, können Sie nicht machen, daß das Fleisch billiger wird?

Sie sagen nein? Die Metzger sagen ja.

Ich traf vorhin zwei der bedeutendsten von Großluxemburg, die sich über Sie bitter beklagten und mich aufforderten, es in die Zeitung zu rücken. Was hiermit geschieht.

Es ist nämlich Tatsache, daß unser Fleisch und Vieh über alle Grenzen hinauswandert und daß wir von außen keinen oder nur winzigen Ersatz bekommen.

Der Konsum hat wegen der Teuerung gegen das Vorjahr um ein Viertel bis ein Drittel abgenommen.

Nach Lothringen gehen wöchentlich siebzig bis achtzig frischgeschlachtete Schweine und fünfhundert, sechshundert „grüne“ Schinken, die die Händler in unserm Land aufkaufen.

Seit vierzehn Tagen werden lebende Schweine massenhaft nach dem Saargebiet ausgeführt. Belgische Händler rollen seit zwei Jahren mit Automobilen durchs Land und kaufen an Ferkeln, Schweinen und Kälbern, was nicht angewachsen ist.

Unser Bestand an Fettvieh, sogar in den Produ- zentenkantonen, wie Clerf u. a. m., ist derart aufgebraucht, daß die Clerfer Metzger schon auf dem Markt in Luxemburg kaufen müssen.

Aus Belgien kommt nur wenig herein, und das ist meist amerikanisches Vieh. Wir möchten aber auch wieder mal ab und zu ein Stück luxemburgisches Rindvieh oder luxemburgischen Schinken genießen. Nicht genug, daß alle Dienstmädchen aus dem Lande nach Paris dräniert werden, jetzt gehen auch unsere öslinger Schinken in die Pariser Restaurants und werden wahrscheinlich als Jambon d’York verkauft.

Wenn schon denn schon! Dann soll wenigstens dafür gesorgt werden, daß wir, wenn wir sonst keinen Anspruch auf Berühmtheit haben, als Schweinezüchter berühmt werden. Vor Jahren galten unsere Hämmel in der Villette zu Paris als die besten, heute werden in Lothringen und Belgien unsere Schweine derart geschätzt, daß die Händler bei jeder Sendung eifrig für die nötigen Ursprungszeugnisse sorgen, denn man hält ausdrücklich auf luxemburger Schweine. Und mit Recht. Darum sollen unsere Schinken unter ihrer luxemburgischen Etikette verkauft werden.

Und weil luxemburger Schweinefleisch das allerbeste ist, darum ist es begreiflich, daß die Luxemburger es ebenso gerne essen, wie die Leute in Metz und Nancy und Paris. Nur wird es ihnen durch den Export verteuert. Es ist nicht mehr so, daß man sagen könnte, die Metzger verstehen sich untereinander, um die Preise hoch zu halten. Unter den zirka neunzig Metzgern von Großluxemburg ist ein solches Komplott nicht mehr gut möglich, die Konkurrenz übt ihre Wirkung. Die Preissteigerung ist allein die Folge der freien Ausfuhr, der von franzöfischer Seite das Ausfuhrverbot für alles lebende und tote Vieh gegenübersteht. Herr Chéron, dem so oft vorgeworfen wird, er halte es mit den Bauern gegen die Konsumenten, war also für eine Preistreiberei durch Öffnung der Grenzen noch nicht zu haben. Dafür lockt der französische. Frankenkurs ein Hauptelement der Volksnahrung tagtäglich in Riesenmengen aus unserm Land. Und was hat schließlich der Bauer von den paar Franken, die er auf diese Weise mehr einnimmt, wenn im natürlichen Kreislauf der Wirtschaft die andern Waren ebenfalls teurer werden?

Herr de Waha, niemand verlangt von Ihnen, daß Sie wieder Gelee-Ferkel zu 10 und 15 statt 180 und 250 Franken auf den Markt zaubern, aber wenn man ein Schweinezüchterland ist, soll man die Bürger nicht zwingen, ihren Speck und ihre Schinken aus Amerika zu beziehen!

TAGS
  • cost of living
KatalognummerBW-AK-011-2415