Während ich am Schalter Queue machte, stand vor mir eine junge Butterfrau aus der Minettegegend. Langsam rückten wir näher an die Fahrkartenausgabe. Da bückte sie sich und fuhr mit einer Hand unter den Rock nach ihrem rechten Knie.
„Ein Floh!“ dachte ich und wollte grade die indiskrete Frage an sie stellen. Da kam die Hand schon wieder zum Vorschein und hielt ein Bündel Geldscheine. Sie entnahm ihm einige Franken, die sie für ihre Fahrkarte hinlegte. Dann steckte sie eins mit dem andern wieder in den schwarzen Strumpf, wo sich von der Rundung der Wade das Inkasso als unförmlicher Wulst abhob.
Jeder weiß, daß der Frauenstrumpf in gewissen Kreisen schon vor dem papiernen Zeitalter als Portemonnate diente. Aber ich hatte seiner Benutzung nie an so öffentlichem Ort, wie einer Bahnhofhalle, beigewohnt.
Das Portemonnaie! Auch ein Bekannter aus der Vorkriegszeit, der unmerklich aus unserm Gesichtskreis entschwunden ist. Er war jemand in der Gesellschaft, er war der Exponent seines Besitzers. Wir kannten ihn als die protzige, gefächerreiche Ledertasche des Schiebers, als das silberdrahtgeflochtene durchsichtige Täschchen der eleganten Dame, das durch die weißen Silbermaschen die Goldfüchse durchschimmern ließ; als das abgegriffene Beutelchen des alten Marktfrauchens, das den Erlös für Butter, Eier und Käse mit Zitterhänden in dem alten, schwarzen Täschchen barg, das es dann im drittuntersten Unterrock verwahrte, immerwährend von der Angst vor Taschendieben geschütkelt. Und als das Silberetui, das man als Pendant zur Taschenuhr in der linken Westentasche trug: Auf einen Daumendruck sprang der Deckel federnd auf und man wischte die Kronen und Doppelkronen heraus und ließ sie auf der Tischplatte klingen. Die Geste des Bezahlens hatte etwas gentlemanlike Gehobenes, heute ist sie ein unschönes, unvornehmes Blättern in schmutzigen Papierfetzen. Da lob’ ich mir den Amerikaner, der seine Scheine zusammengeknüllt in die Hosentasche steckt, wie sein Taschentuch und beim Bezahlen aus dem Knäuel das Gewünschte nonchalant herausklaubt.
Vergessen wir nicht das Portemonnaie unserer Großväter. Es bestand aus dem Zipfel des Taschentuchs - wenn der Mann ein Taschentuch führte. Die Barschaft war in den Zipfel hineingeknüpft. Dies Tuch mit dem metallbeschwerten Knoten an einem Ende konnte unter Umständen als gefährliche Waffe dienen. Wie ich denn als Kind die Geschichte von einem Holzfäller erzählen hörte, der spät abends seinen Wochenlohn im Tuchzipfel nachhaus trug und dem ein Wegelagerer „Geld oder Blut!“ abforderte. Er gab ihm mit seiner Portemonnaie-Schleuder so wuchtig eins über den Schädel, daß der Kerl zusammenbrach und später an einem großen Loch im Kopf als der Straßenräuber agnosziert wurde.
Ein anderes Portemonnaie, das ziemlich viel im Gebrauch war, war die rechte Westentasche. Es sah vornehm nachlässig aus, wenn man so mit Daumen und Zeigefinger in den Schlitz fuhr und eine Handvoll Münze herausbrachte, die man über die innere Handfläche auseinander breitete, um das richtige Stück vorzuschieben und in Zahlung zu geben. Meine Mutter sagte zwar immer, dies sei ein Zeichen des Leichtsinnes, jeder ordentliche junge Mann müsse sein Portemonnate haben und darin Kupfer, Silber und Gold sauber getrennt halten, sonst komme er zu nichts, ich konnte mich nicht an das Portemonnaie gewöhnen. Meine Mutter hat denn auch recht behalten.
Doch vielleicht kommt noch einmal eine Zeit, wo das Portemonnaie wieder das Portefeuille verdrängen wird. Ich habe mir vörgenommen, alsdann meiner Mutter die nachträgliche Genugtuung zu geben und ein Portemonnaie zu tragen. Vielleicht, daß es für seine fördernde Wirkung noch nicht zu spät ist.