Original

19. Juni 1923

Sagen Sie mal, Sie Mann da oben an der Wetterschalttafel, was machen Sie denn wieder für Zicken? Haben Sie in der Verdöstheit Ihren Kalender verkehrt herum aufgehängt und meinen, wir sind im Jänner, statt im Juni? Johanni naht heran, bald werden die Tage kürzer und wir gleiten den Abhang hinunter schon wieder winterwärts, und dabei hat der letzte Winter für uns noch gar nicht aufgehört. Mit Ausnahme der paar ersten Tage im Mai konnte noch niemand den Ofen ausgehen lassen, und wer es dennoch getan hatte, steckte ihn beflissen wieder an. Trotzdem - ich mache Sie für den Schnupfen verantwortlich, der mich seit zwei Wochen plagt wie ein lästiger Logierbesuch. Und in sechs Wochen beginnen die Ferien! Mensch, was ist denn nur in Sie gefahren!

Tun Sie es absichtlich, weil Holz und Kohlen so billig sind? Oder wollen Sie ein neues System starten, eine Durchschnittstemperatur für das ganze Jahr, vom 1. Januar bis 31. Dezember? Lassen Sie das, bitte, ich bin sicher, das hat Ihnen niemand angeschafft. Wir wollen unsern rechtschaffenen Winter und unsern ordentlichen Sommer haben. Als Bewohner der gemäßigten Zone haben wir darauf meteorologisch, historisch und in jedem andern Betracht ein angestammtes Recht. Seit Erschaffung der Welt sind die Normen festgelegt, auf die man sich hier in Mitteleuropa eingerichtet hat, und nun wollen Sie ohne vorherige Bekanntmachung eine so grundstürzende Neuerung einführen! Haben Sie die Folgen bedacht? Sie sind gar nicht auszudenken! Nicht allein Schuster und Schneider müßten sich der neuen klimatischen Ordnung anpassen, die ganze Pflanzenwelt wäre mit einem Schlag unzeitgemäß, den einen wäre die Mitteltemperatur zu hoch, den andern zu niedrig - hören Sie, das geht wirklich nicht. Sie müssen sich nicht in den Kopf setzen, daß Sie jetzt etwas durchaus Neues erfinden und auf unsere Kosten mit dem Wetter, mit Regen und Sonnenschein und Temperaturgraden experimentieren, wie in einem Laboratorium. Überhaupt, Sie kommen mir vor, wie ein Stümper, der zufällig und interimistisch Herr über einen Apparat geworden ist, mit dem er nicht Bescheid weiß. Und weil Sie das Richtige nicht können, probieren Sie hinum und herum, was etwa draus wird. Darum ist Ihr Wetter wie die unausgebackenen Töpfe von Nospelt, die ein zweites Mal in den Ofen mußten.

Oder kommt es auch bei Ihnen auf passiven Widerstand und Sabotage heraus? Ich werde mich bei Ihrem Prinzipal erkundigen. Den lieben Gott hätte ich doch für vernünftiger gehalten. Wenn irgend jemand, so sollte doch Er Ordnung halten da droben, zumal seit er seinerzeit die erste Revolution in seinem Reich so energisch unterdrückt und die Aufklärer kurzerhand herausgeschmissen hat.

Wie kann er von uns armen und kurzsichtigen Menschen verlangen, daß wir die Welt wieder in die Fugen bringen, wenn Ihr droben das schlechte Beispiel gebt und vieltausendjährige Wetterregeln aus dem Leim gehen laßt!

Ich weiß, daß es nichts hilft. Das Bistum hat ja auch noch keine Gebete um besseres Wetter angeordnet, also ist noch keine Aufklärung im Anzug. Aber ich wollte Ihnen meine Meinung sagen. Sie sollen wissen, daß wir uns dergleichen nicht bieten lassen, ohne aufzumucken.

TAGS
  • Wetter
KatalognummerBW-AK-011-2424