Original

24. Juni 1923

Aus dem Evangelium des Johannes klingen die Jahrhunderte herauf die bangen Worte des Pilatus: „Was ist Wahrheit?“

Du lieber Himmel, wie hat sich die Menschheit schon den Kopf über die Wahrheit in tausenderlei Betracht zerbrochen! Und noch heute, wieviel Druckerschwärze wird an Fragen dieser Art vergeudet: Die Wahrheit über den Krieg, die Wahrheit über den Frieden, die Wahrheit über Himmel und Hölle und die umliegenden Bierdörfer!

Da muß es direkt befreiend und erfrischend wirken, wenn einer ein Buch schreibt, in dem dies Problem einmal in weniger hochgestochene Regionen herunterverlegt und mit der lieblichsten der Künste, mit Musik in Zusammenhang gebracht wird!

Herr Leopold Edlmann aus Wien hat dies Buch geschrieben, das bei Emanuel Kafunek in der ehemaligen Kaiserstadt gedruckt ist und 9000 deutschösterreichische Kronen kostet.

„Die Wahrheit über die Zither. - Aufklärende Schrift für Zitherfreunde, verfaßt auf Grund jahrzehntelanger Studien und Versuche zur Lösung der Zitherfrage.“

Ich habe es immer gesagt: Wir regen uns zu sehr über allerhand Fragen auf, die an dem derzeitigen Unglück in der Welt schuld sind, die Ruhrfrage, die Valutafrage, die Ernährungsfrage, die Balkanfrage usw. Diese Fragen sind wie kokette Weiber. Sie plustern sich auf und machen Sums und wollen hofiert sein, solange man sich um sie streitet und ihnen starkes Interesse schenkt. Läßt man sie links liegen, so verschwinden sie in der Versenkung und niemand macht sich mehr ihretwegen Gedanken.

Lassen wir die Ruhr- und alle ähnlichen Fragen in der Ecke stehen und wenden wir uns der Zitherfrage zu. Denn es gibt eine Zitherfrage. Herr Leopold Edlmann ist seit Jahrzehnten mit ihrer Lösung beschäftigt. Sie besteht also seit Jahrzehnten, ist mithin älter als alle andern Fragen zusammen, die uns heute den Schlaf rauben, und hat ein Recht darauf, daß sie zuerst gelöst wird. Herr Leopold Edlmann drückt das so aus: „Die Verbreitung meiner Flugschrift soll den verfahrenen Zitherkarren auf den Weg bringen, der zur notwendigen Lösung der Zitherfrage führt.“ Er will dadurch „einer guten Sache zum Siege über konservative Körperschaften und Parteigrößen verhelfen, die aus Egoismus und Eitelkeit den wahren Fortschritt hemmen.“

Sie merken schon, im Reich der Zither sind die Menschen grade so böse, wie in der Politik. Herr Leopold Edlmann - er ist außerdem Oberst d. R. - hat eine neue Zither erfunden, die er Intelligenzzither oder Sirenenlaute nennt, „für die über viel Zeit verfügende und musikalisch gründlich vorgebildete Intelligenz“.

Wien bleibt Wien! Ich hoffe mit diesen Zeilen nach dem Maß meiner schwachen Kräfte an dem „verfahrenen Zitherkarren“ mitgeschoben zu haben. Denn ich habe eine Schwäche für die Zither, auch wenn sie nicht als Intelligenz, sondern als einfache zither auftritt. Sie ist im musikalischen Leben des Volks, da, wo sie populär ist, die Erlösung von der schändlichen Ziehharmonika. Sie übersetzt ins Reich der Klänge die Vorliebe primitiver Seelen für die Sentimentalität. Und wenn einer sie ordentlich zu spielen weiß, kann man mit Genuß zuhören, zumal, wenn man tagsüber auf den Bergen herumgestiegen ist und abends hinter einem Maßkrug beim Altwirt in Lenggries oder dort herum irgendwo zwischen München und Innsbruck sitzt und die Cenzi ist nett und der Zitherspieler hat Hirschlederne an und schnadahüpflt zur Zither und hat a Schneid.

Auch in Luxemburg hat die Zither längst Eingang gefunden, schon vor vierzig Jahren hallten die alten Festungsmauern einer weiland Wachtstube von den Klängen wider, die der Amberg seiner Zither entlockte, und seither hat es schon zu einem Klub gereicht.

Also wenden wir uns allen Ernstes der Zitherfrage zu, net wohr.

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KatalognummerBW-AK-011-2429