Wir haben - wahrscheinlich aus ethisch-moralischen Bedenken - keine Staatslotterie. Warum nur nicht? Wenn die preußische Klassenlotterie zwischen Trier und Danzig die Sitten der Untertanen nicht verderben konnte und wenn in Italien die Lotterie zu den staatlich approbierten Volksbelustigungen gehört, warum sollten wir bei uns dem natürlichen Abenteurer- und Glücksbedürfnis des Volks nicht dies Sicherheitsventil verstatten?
Aber wir haben, wie gesagt, keine Staatslotterie.
Dafür haben wir eine andere Einrichtung, auf die sich das Volk werfen kann, um seine Sehnsucht nach „dem Großen“, das aus blauem Himmel ihm in den Schoß fallen soll, zu befriedigen.
Das ist die Eröffnung der Fischerei am 26. Juni.
Am 1. April wird zwar auch eine Fischerei eröffnet, die auf Forellen. Aber das ist keine Volksangelegenheit. Da gehört schon dazu, daß man über eine Fischerei verfügt und daß einige Aussicht dafür vorhanden ist, daß auf dieser Strecke noch drei bis vier Forellen vorhanden sind. Das Forellenfischen ist ein Vergnügen für eine Auslese.
Aber die Fischerei in Mosel und Sauer und in den andern Bächen, die nicht als Forellenwasser rubriziert sind, betrifft das ganze Volk. Sie ist, wie immer lobend hervorgehoben wird, die Jagd des armen Mannes, wie die Ziege seine Kuh und die Harmonika sein Blüthnerflügel ist. Das Fischen auf Rotaugen, Mönen, Barben, Brassen usw. ist frei. Du brauchst nur eine Bambusstange, eine Schnur mit einem Meter Vorfach, einen Angelhaken, ein Töpfchen mit Regenwürmern, gekochtem Weizen, Blut usw. und das nötige Sitzleder - wenn Du nicht lieber stehst - so hast Du alles, was Du brauchst für die Angelfischerei, die am 26. Juni aufgeht als Ersatz für die fehlende Staatslotterie.
Der Fischer wirft seinen Köder aus und zieht ihn wieder herein: Es ist, als habe er sich ein Los gekauft, das er selber ziehen darf, wenn er denkt, daß es dazu Zeit ist. Und es gibt Gewinne und Nieten. Es kostet nur die paar Franken für den Fischereierlaubnisschein. Dafür kannst Du Dir neun Monate lang das Glück verschaffen, ohne das kein Mensch leben kann: Das Glück der Hoffnung auf ein Unbekanntes, auf die Entschleierung eines schönen, aufregenden Geheimnisses. Mit jedem Fisch, den Du der Flut entführst, hast Du dem Wasser einen Teil seines Geheimnisses, jenes zappelnden, schlängelnden, huschenden, heimlichen Lebens entrissen, das sich unter seiner Oberfläche unsichtbar umtreibt.
Kein Bräutigam sieht dem Tag seiner Trauung mit so unbändigen und phantastischen Vorstellungen entgegen, wie der Fischer dem Tag der Eröffnung, wo er zuerst nach Monaten wieder zu jener verborgenen Welt in Beziehung treten wird. In seinen Träumen treiben sich die Rekorde - Gewicht und Zahl - um die Wette hoch. Erst landet er seinen ersten Hecht bescheiden im Gewicht von fünf Pfund, dann sind es sieben, dann erwacht er schweißtriefend im Augenblick, wo er einen Fünfundzwanzigpfünder bis ans Ufer herangedrillt hat. (Ist Ihnen nie aufgefallen, daß Fischer vom Gewicht ihrer wirklichen, angeblichen oder geträumten Beute immer nur per ungrade Zahlen sprechen?) Ein anderer zeigt im Traum den Mitreisenden im Zug sein Netz, das so voll Rotaugen ist, daß man es kaum mit zwei Händen heben kann. Und er sitzt glückselig lächelnd am Moselufer auf einem Stein und alle fünf Minuten schießt sein Federkiel unter Wasser und er spürt beim Anziehen den schwanken Widerstand, dies Gefühl, in dem die ganze Leidenschaft jedes Fischers konzentriert ist.
Am 25. Juni abends und am 26. Juni morgens, auf dem Gipfel des Jahres, ziehen sie hinaus, der Wirklichkeit entgegen, in die sich ihre Träume wandeln sollen: Idealisten, die sagen, es sei ihnen nur um die frische Luft und die Landschaft zu tun, Utilitaristen, die auf die Verwaltung und Regierung schimpfen, wenn sie nichts fangen, Philosophen, die es nehmen, wie’s kommt. Zeiger, die beim Fischerwill in Ehnen oder beim Folmer in Remich die Hechte kaufen, die sie nicht selbst gefangen haben, und auch die Vielen, die Fischer sind aus Urinstinkt und Faulheit, Abneigung gegen geregelte Arbeit, und die schon wissen, in welcher Hotelküche sie die recht- und unrechtmäßige Beute los werden.............
Petri Heil!