Original

29. Juni 1923

Vor einigen Monaten war hier die Rede von der ungeschlachten Art und Weise der Deutschen, für ihre Sache im Ausland Propaganda zu machen. Aus diesem Anlaß wurde auch eines in Amerika erschienenen Buches gedacht, in dem auf 200 Seiten der deutsche Ursprung des Namens Amerika nachgewiesen werden soll. „Urdeutsch, alldeutsch, made in Germany.“

Das Werk selbst, ein Haufe Geschichtsklitterung à la Schliep’s „Urluxemburg“, ist an und für sich wenig interessant. Erwähnt sei nur, daß der Verfasser den Namen des Amerigo Vespucci, nach dem der neu entdeckte Weltteil benannt worden war, rückwärts verfolgt und nachzuweisen versucht, daß er die italienische Form des Namens Amalrich ist, den Theoderich der Große für seinen Enkel erfand, den Sohn seiner Tochter Ostrogotho und Alarichs II., des Königs der Westgoten. Also weise der Name Amerika zurück auf das Reich der Amaler, auf das Geschlecht der ostrogothischen Könige, die ihren Namen wiederum von dem Asengott Amal ableiten, der in der germanischen Mythologie die Verkörperung der mühsalbezwingenden Energie bedeutet. Et voilà pourquoi votre fille est malade.

Dieses kindliche Rebusspiel mit Geschichte und Mythe ist, wie gesagt, an und für sich nicht sehr interessant. Interessanter ist für uns die Tatsache, daß der Verfasser sich als Luxemburger ausgibt. Er heißt Heinrich Charles und schreibt uns: „Zu Ihrer Information teile ich Ihnen mit, daß ich im Jahre 1860 in Luxemburg geboren wurde und auch heute noch luxemburgischer Staatsangehöriger bin.“

Dieser anhängliche Landsmann scheint außer seiner luxemburger Staatsangehörigkeit indes noch andere zu besitzen. So schreibt ihm Hermann Sudermann zu seinem Buch: „Sehr geehrter Herr Charles! Das habe ich freilich nicht ahnen können, als ich den Vorzug hatte, Sie kennen zu lernen, daß in Ihnen ein so leidenschaftlicher Deutscher steckte, wie Ihr wundervolles Buch „Der deutsche Ursprung des Namens Amerika“ jetzt offenbart.“

Eine andere Leuchte des deutschen Schrifttums, Herr Walter Bloem, schreibt über dasselbe Buch: „Es ist betitelt „Der deutsche Ursprung des Namens Amerika“ und ist von einem Amerikaner deutscher Abstammung verfaßt, der den deutschen Vornamen Heinrich und den Familiennamen Charles führt.“

Und dann zitiert Herr Walter Bloem, um das Deutschtum des Herrn Heinrich Charles noch mehr ins Licht zu rücken, folgende Stelle aus dessen Buch: „Der ironische Treppenwitz der Weltgeschichte! Die drei Nationen, deren Wortführer im Weltkriege das deutsche Volt am meisten beschimpften, beschmutzten und verleumdeten: England, das Land der Angeln, Frankreich, das Land der Franken, und Amerika, das Land der Amaler. Der Stempel des deutschen Genius bleibt ihnen unauslöschlich für ewige Zeiten aufgedrückt.“

Herr Bloem findet, es gebe dem Werk den Einschlag aktueller Pikanterie, daß ein „Bindestrich-Amerikaner“ den Mut gehabt hat, dies Werk im Jahre 1922 in New York erscheinen zu lassen.

Wir sind hier Herrn Heinrich Charles sehr dankbar dafür, daß er sich vor der breiten Öffentlichkeit nicht als Luxemburger bekannt gegeben hat. Er schreibt am Schluß seines Vorworts:

„Mag man auch der Kraft des deutschen Adlers die Flügel stutzen und die Fänge stumpfen; dem Schwung des deutschen Genius kann man aber nicht dauernd Fesseln anlegen. ...... Die Zeit wird kommen, da deutscher Geist Himmel und Erde, Luft und Wasser beherrschen wird, zum Segen der Welt. ......

„Dem deutschen Volke gehört die Zukunft!“

Das läßt also darauf schließen, daß sich Herr Heinrich Charles zum mindesten ebenso sehr als Deutscher, denn als Luxemburger fühlt, wäre es auch nur, um sich vorzumachen, daß er im „Schwung des deutschen Genius“ mitschwingt.

Außerdem ist er doch auch wohl amerikanischer Bürger. Er vereinigt mithin in seiner Person schon drei Nationalitäten. Dreifach hält noch besser, als doppelt. Und man kann nie wissen, nicht wahr?

Die Herren Sudermann und Bloem in Ehren, aber ich meine, es gibt noch gute Deutsche genug, die beim Lesen dieses Buches von Heinrich Charles die Achseln zucken und sagen: „Gott schütze mich vor meinen Freunden!“

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