Es gibt keine Stadt, die dem Spaziergänger in ihrer nächsten Umgebung so pittoreske Abwechslung bietet, wie Luxemburg. Du kannst stundenlang an ihrer Peripherie dahinschlendern und fällst aus einer Überraschung in die andere. Das ist so bekannt, daß man naiv wirkt, wenn man es feststellt. Trotzdem sei es hier nochmals festgestellt, für die vielen, die aus Faulheit jede Auregung von sich weisen mit überlegenem „Ich weiß“.
Nein, sie wissen nicht. Wenn man einmal einen von ihnen dahin bringt, daß er weiter geht, als in den Park oder zu Staar auf den Bahnhof, so ist er verblüfft. Zuerst sagt er, es sei nicht zu glauben, was draußen herum gebaut wird. Das Bauen hat ihn am ersten frappiert. Dann schlägt allmählich der landschaftliche Eindruck durch und bleibt auf dem Lichtschirm der Erinnerung stehen.
Dieser Tage ging ich den Weg zur Petrußbrücke hinunter, durch die Dornröschenlandschaft, die Herr Josef Heintz selig dort geschaffen hat, großzügig und vorsehend. Noch eine Generation und keiner vom Nachwuchs weiß mehr um den Ursprung dieser Anlagen, der Efeu der Legende wird sich darum kanken und es wird kein Wunder sein, wenn in der Phantaste der Späteren aus dem Gemäuer, das dort bergauf und bergab als Fundamente künftiger Villen aufgeschichtet ist, die Ruinen verfallener Märchenschlösser werden.
Drüben liegt als Wahrzeichen luxemburger Freiheit das Gelerch einer Schusterhütte, Überbleibsel aus einer Zeit, wo dort noch Wüstenei war, Heute steht der leise Schwung der neuen Fassadenreihe prunkend in der Sonne und das alte Gehäuse sticht davon zigeunerhaft ab, wie eine häßliche Warze. Und ein Junge übt sich im Lassowerfen, wobei sein Schwesterchen als Ziel herhalten muß.
Nicht daß die neuen Häuser dort herum alle auf Schönheit Anspruch machen könnten. Es macht sich dort viel architektonisches Gestammel auffällig, aber dazwischen zeichnen sich einzelne Fronten aus durch einfache, vornehme Ausgestaltung. Schön oder häßlich, alle freuen sich ihrer selbst auf der Sonnenseite des Lebens, sicher, daß ihnen die Aussicht nie verbaut wird.
Aber die Petruß! Grade ist sie einmal sauber, man steht durch ihr klares Wasser bis auf den Grund, aber man sieht nichts Erfreuliches. Die Pflasterung des Bettes ist schleimig überzogen mit dem hell- grauen Schlamm, in dem Seifen- und Dreckreste eine unnatürliche Verbindung eingegangen sind.
Heute fließt dieser Bach mit dem sonderbaren Namen „die Petruß“ als Drecksbärbel durch ein grünes Talparadieschen. Aber die Zeit wird kommen, wo sie ihr talauf die Schmutzwasserzuflüsse abzapfen und unterirdisch ableiten werden. Dann wird die Petruß wieder als klarer Wiesenbach dahinmurmeln. Warum nicht? Warum kann zum Beispiel in BadenBaden die Oos als glasklares Forellenwasser die Menschenansiedlung durchströmen und warum sollte die Petruß hier das nicht können? In Baden-Baden stehen die Forellen unter den Brücken vor den Hotels, hier im Petrußtal gab es seinerzeit reichlich Fische im Bach, noch vor 40-50 Jahren setzten sich die Gärtner Sonntags nachmittags mit ihren Angeln ans Ufer und fingen sich auf den Abend eine Pfanne voll. Und die Hänge jenseits hinauf stand Gestrüpp, in das sich manchmal Liebespärchen verloren, und oben auf dem Plateau ragten schlanke Pappeln, darunter exerzierten die luxemburger Milizleute und statt des Pfauengeschreis, das heute den Raum gellend durchschneidet, hörte man die Hornsignale übender Cornets sich mißtönend untereinander verschlingen.
Die Pappeln und die Cornets und die Liebespärchen und die Milizleute sind auf ewig dahin, aber warum soll die Petruß eines Tages nicht wieder so sauber werden, daß Fische darin leben könnten?