Original

5. Juli 1923

Irgendwo war in diesen Tagen der bekannte Vers von Dicks zitiert, in dem er meint, wenn wir für ein Ding kein Wort haben, sollten wir die Rase davon lassen.

Das ist eine strenge Rede, Herr, wer mag sie hören! Ich bin überzeugt, wenn Dicks heute lebte, wäre er in diesem Betracht gnädiger geworden, denn seit er jene Regel niedergeschrieben, sind eine ganze Menge Dinge und Begriffe entstanden, für die das luxemburger Platt kein Wort hat und von denen wir doch unmöglich die Nase weglassen können, wollen wir mit der Welt überhaupt mitkommen.

Dicks hat es sicher auch nicht so stramm gemeint, wie er es in seiner Retourchaise an Michel Lentz ausgedrückt hat. Er wollte nur sagen, daß einer, der das luxemburger Platt schreibt, nicht ohne Not Fremdwörter gebrauchen soll. Zu seiner Zeit und in seinen Kreisen konnte man sich einen größeren Purismus gestatten, weil man sich des Luxemburgischen eben nur so lang bediente, als sein Wortschatz reichte. Sobald die Sache anfing, einigermaßen transzendent zu werden, rettete man sich ins Französische, das man von der Mutterbrust an gelernt hatte.

Heute ist das anders. Die Welt ist demokratischer geworden, auf den Höhen des Lebens, auf denen die Rede über gehobene Themata geht, wohnen geläufig Leute, die zuhaus nur ihr Platt gelernt haben und die unter sich auf Luxemburgisch ebenso gut über Einstein’s Relativitätstheorie, wie über Kartoffeln und Maikäfer diskutieren. Da wir aber für abstrakte Begriffe und für Dinge, die abseits des materiellen Alltags liegen, häufig keinen entsprechenden Ausdruck haben - selbst die verfeinertsten Kultursprachen müssen dafür bei den Römern oder Griechen Anleihen machen - so müssen wir eben, wollen wir überhaupt solche Fragen in unserer Muttersprache erörtern, gegen die Dicks’sche Regel verstoßen. Warum nicht? Wo es in der Hauptsache darauf ankommt, seinen Gedanken klar in Worte zu fassen, da macht man keine Literatur. Wenn sich Frantz Clement und Pol Michels über Expressionismus streiten, fliegen Späne, die nicht ausschließlich von luxemburgischem Holze sind, aber die beiden sagen trotzdem genau, wie sie es meinen.

Soll aber die Sprache als Instrument der luxemburger Volkslyrik dienen, dann freilich darf der Dichter keine fremdländischen Saiten aufziehen und dann hat er eben auch Unrecht, sich in Sphären hinaufzusteigern, wo seine Gedanken und Empfindungen sich nicht mehr in die Sprache des Volkes kleiden lassen.

Und da ist es sicher, daß wir alle unsere Muttersprache nur noch sehr unvollkommen beherrschen und unnötigerweise fremdes Sprachgut hineinmengfeln. Wer in dem ländlichen Gasthaus dabei sitzt, wie die Leute von draußen die Dinge ihrer Umwelt bereden, ist erstaunt über die Fülle der Ausdrucksmöglichkeiten, Wörter und Wendungen, die uns abhanden gekommen sind. Und da müßte für unsere Sprache gelten, was von jeder gilt: Wer darin schreibt, sollte sie erst beherrschen. Es genügt nicht, daß einer Ausdrücke sammelt und seine Prosa damit bestreut und durchbäckt, es muß von innen fließen, über jeden Ausdruck muß das angeborene Sprachgefühl zu Gericht sitzen. Und da mag es vorkommen, daß ein gebräuchliches Fremdwort eher im Geist der Sprache liegt, als der malerischste heimische Ausdruck. Wenn Sie von den Eigenschaften oder Qualitäten eines Pferdes reden wollen, dürfen Sie im Luxemburgischen meinetwegen „Dugenden“ oder „Naupen“ sagen. Bei der Wertung eines Dichters und seiner Werke kämen Sie an dem Fremdwort oder dem Hochdeutschen nicht vorbei.

Und dann kommt alles darauf an, wem Sie einen Ausdruck in den Mund legen. Ein Bauer, der zu seiner Frau sagt „deine Plastik“, fällt ebenso sehr aus dem Rahmen, wie ein Mann von raffinierter Kultur, der im selben Fall von „deinem Speck“ reden wollte.

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