Original

7. Juli 1923

Im «Menle Blanc» weint André Dahl dem Hotel aus der guten alten Zeit eine Träne nach.

„Wie reizend war das Hotel von dazumal, dessen Wirt Dich auf der Türschwelle dienstbereit empfing, eine Serviette unterm Arm. Durch eine offene Türe sah man eine Ausstellung von kupfernen Kochtöpfen. Das zutrauliche Zimmermädchen, das Deinen Koffer hinauftrug, fragte: „Wo kommen der Herr denn her?“ Wenn Du Dein Fenster öffnen wolltest, fiel Dir regelmäßig der Vorhang auf den Kopf. In einer Ecke stand ein Puppenwaschtisch mit einer kleinen Waschschüssel und einem kleinen Wasserkrug. Mit einem Liter Wasser konnte man sich einen ganzen Tag lang die Zeit vertreiben. Auf dem Kamin stand eine Uhr, deren Zeiger sich nie bewegten. Der Nachttisch enthielt Überraschungen: Haarnadeln und einen Kerzenstumpf. Man brauchte lange Übung, um das W. C. zu finden, es lag „am Ende des Gangs, zwei Stufen hoch, bitte rechts, die Glastür“. Dann brauchtest Du nur den Weg in umgekehrter Richtung zu machen, um Papier und Streichholz zu holen. Nein, wie reizend, das Hotel von dazumal.“

So ziemlich mit demselben Bedauern sah ich dieser Tage ein altes Hotel verschwinden. Die Beschreibung freilich paßt nicht, aber ich dachte auch: „Wie reizend, das Hotel von dazumal!“

Heute ist es nur noch ein Haufen Steine. Seit dem Krieg hat man sich angewöhnt, Haustrümmer stets mit Zerstörung und Graus in Verbindung zu bringen. Hier ist die Zerstörung in friedlicher Arbeit getan und der Beginn einer schöneren Zukunft. Hoffentlich!

Ich meine das «Hôtel de l’Europe» in Bad Mondorf. Sein Verschwinden ist ein Versprechen, das Versprechen, daß es im Staatsbad endlich mit dem Neubau ernst wird. Das gute, alte, liebe Hvtel opfert sich, damit neues Leben aus den Ruinen sprosse.

Alles, was man von den Hotels der guten alten Zeit Rühmenswertes sagen kann, paßte auf dies Gasthaus. Ja, sagen wir lieber Gasthaus, als Hotel. Es war einst eines der Häuser, in denen der Gast nicht eine Nummer, sondern sozusagen ein Freund des Hauses war. Die Besitzer waren zu ihren Gästen so, daß jeder von ihnen überzeugt war, er sei ihnen besonders willkommen, sie hielten ganz speziell auf seinen Besuch und der Tag seiner Ankunft sei ein Fest für die Familie. Man denkt an „Die Hochzeitsreise“ von Moritz v. Schwind, auf dem der Wirt Abschied nimmt, als sei er der Onkel des jungen Paares.

Altes luxemburger Bauernblut war hier zuhaus und pflegte die nationalen Überlieferungen der Gastlichkeit. Es war ein seltsames Gemisch von Anpassung an die Forderungen der Zeit und Festhalten am guten Alten. Das Gasthaus wurde und wuchs mit dem Bad, es gehörte dazu, wie das Blatt zum Baum, es war ein Exponent von Mondorf. Es durfte auf sich den Vergleich beziehen, den Paul Eyschen einmal in der Kammer in bezug auf das Staatsbad gebrauchte: „Ein kräftiges Mädchen vom Land mit einem Strauß Feldblumen am Mieder.“ Es heimelte an, wenn man vormittags eine Dienstmagd im Gemüsegarten hinterm Haus die neuen Kartoffeln ausheben und den Salat schneiden sah, die mittags auf der Table d’hôte erschienen. Man saß an einem gemeinsamen Tisch, wie an der Kirmes. Was an modernem Komfort fehlte, wurde durch Deftigkeit ersetzt.

Vielleicht wird in Bad Mondorf einmal das Palace oder Terminus oder Savoy oder Bristol entstehen, von dem schon so lange gesprochen wird. Man wird in den Zimmern fließendes Wasser und Badekabinen haben, die Kellner werden sieben Sprachen reden, der Direktor wird ein weltgewandter Mann sein, der am Gepäck sieht, was der Gast für ein Zimmer bekommen soll, das Haus wird einen Wintergarten haben, in dem man den Konzerten des Eiffelturmes lauschen kann, die Gäste werden vornehme internationale Klasse sein, bei der man den Hochstapler und den Multimillionär aus Amerika nicht auseinander kennen kann - wir werden sagen können: Es ist so schön, wie in Vichy oder in Ostende.

Und dann wird man an das gute liebe alte Gasthaus zurückdenken und sich insgeheim gestehen, daß es damals eigentlich doch auch schön war. Und fallen einem allerhand Tage und Leute ein, so wird man finden, daß es damals sogar noch viel schöner war.

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KatalognummerBW-AK-011-2440