Original

17. Juli 1923

Wir haben uns angewöhnt, die Darbietungen unserer gesteigerten Maschinenkultur als etwas Fertiges, Selbstverständliches hinzunehmen, ohne uns den Kopf darüber zu zerbrechen, was an geistiger und körperlicher Leistung darinsteckt. Zum Beispiel: Sie sitzen an dem Marmortisch Ihres Stammlokals, oder vor dem Kamin mit dem pompösen Mantel aus mattem schwarzem Granit: Es fällt Ihnen nicht ein, sich Gedanken darüber zu machen, daß dieser weiße Marmor in Italien, der schwarze Granit in Schweden gewachsen ist, wieviel Mühe und Zeit es gekostet hat, den Block aus den Eingeweiden der Erde loszuwuchten, ihn in die richtige Form zu bringen, ihn auf die Bahn zu schaffen und grade diese Platte und diese Profile von ihm abzusägen.

Sie haben Unrecht. Sie sind wie einer, der im Konzert nur so drüber weg horcht und nicht ins Orchester hineinlauscht, um sich daran zu freuen, wie das durcheinander webt und sich aufbaut eins ums andere und eines am andern.

Vom Lesen oder Erzählenhören haben Sie da nicht viel. Sie müssen sehen. Und da wir grade vom Marmor und Granit reden: Haben Sie eine Ahnung, daß in unserm Stadtbering ein Betrieb liegt, der weit über unsere Grenzen hinaus seine Kundschaft mit allem versorgt, was man aus Marmor und Granit herstellen kann?

Umstände führten mich dieser Tage in das Atelier Hubert Jacquemart am Bahnhof. Es ist um diese Industrie herum nie viel Reklame gemacht worden, die meisten gehen vorbei, sehen die paar Granitkreuze stehen und denken: Kreizermecher.

Gehen Sie aber nur ein paar Schritte weiter, so tut sich vor Ihnen der schönste Werkplatz auf. Das Terrain in seiner ganzen Breite luftig überdacht und darunter Maschine an Maschine, eine Riesensäge, die durch einen schweren Block mit Hilfe von Stahlkiesel sich knirschend durcharbeitet, ein ganzes Sägengitter, das sich hin und her durch einen kleinen Marmorberg reibt und ihn in dicke und dünne Platten auseinanderschleift, Polierer, Sandstrahlgebläse, was weiß ich. Eine maschinelle Hinaufsteigerung der Leistung, wie sie kaum irgendwo so sichtbar und eindringlich wirkt, weil eben alles Gewirkte noch so dicht am Ursprünglichen ist, Säge bleibt Säge und Sand frißt sich in Glas und Marmor, ganz wie in der Natur.

In dem weiten Lager dahinter stehen die schon zersägten Blöcke, Tafel an Tafel, wie ein Kartenspiel, rosaroter und grauer und schwarzer Granit aus aller Herren Ländern, und die vielfache Pracht des Marmors, schwarz, weiß, braun, grün, phantastisch geädert, so schön, wie ihn kein Maler malen kann. Und Papa Jacquemart näßt sich den Daumen reibt damit liebevoll über die matte Fläche und sagt: So wird er, wenn er poliert wird.

Man fragt sich, wer in aller Welt diese Marmorund Granitmassen brauchen soll, und fragt sich nicht länger, wenn man hört, daß zum Beispiel jene Haufen versandfertiger Waren nach Paris gehen. Eine Marmorindustrie, die von Luxemburg aus den Pariser Markt erobert, das läßt sich hören.

Manche von uns kannten Herrn Hubert Jacque- mart, als er vor einem Menschenalter hier mit seinem ersten Grabkreuz den Grundstein zu seiner Firma legte. Er war der Mann der stillen, bescheidenen Energie, zuvorkommend, aber fest, wie der Granit, auf dem er gewachsen war. Von dem Stoff, aus dem die Begründer gemacht sind.

Wenn am 24. Juli d. J. an dem Hause de la Fontaine die Gedenktafel für Dicks enthüllt wird, wird sie insgeheim auch eine Gedenktafel sein für die Gediegenheit und den Gewerbefleiß der Firma, die sie erstellt.

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    KatalognummerBW-AK-011-2448