Ein Berliner Korrespondent schickte uns dieser Tage einen Aufsatz über „amtliche Berufsberatung“ in Deutschland. Jeder Stadt- und Landkreis in Preußen hat ein Berufsamt, dessen Aufgabe es ist, „die vor der Berufswahl stehenden Personen zu beraten und sie auf Grund ihrer körperlichen, geistigen und sittlichen Eignung dem Beruf zuzuführen, in dem sie zu ihrer eignen Befriedigung und zum Rutzen der Allgemeinheit das Bestmögliche leisten können“.
Erst werden die Jugendlichen gesundheitlich, dann intellektuell geprüft, und im Übrigen und Weiteren sind dann Neigungen, Fähigkeiten und wirtschaftliche Lage ausschlaggebend.
Mit dem Berufsamt ist nicht soviel erreicht, wie auf den ersten Blick scheinen könnte. Die Frage der Berufswahl war vom Leben auf die simplistische Formel gebracht: Jeder lernt das, wozu er Geld hat und womit er das meiste Geld zu verdienen hofft.
Das Berufsamt bringt dahinein die Elemente Fähigkeiten und Reigung als etwas Obligates und verkündet damit das Rezept, nach dem das Lebensglück eines Menschen hergestellt wird: Übereinstimmung zwischen Pflicht. Fähigkeit, Reigung und Erfolg.
Vom lieben Herrgott hieß es immer, wem er ein Amt gebe, gebe er auch den dazu gehörigen Verstand. Man muß also annehmen, daß er jeden Menschen bei seiner Geburt mit der Eignung zu einem bestimmten Beruf versehen hat. Die preußischen Berufsämter haben es nun übernommen, jeden Menschen an dem ihm bestimmten Platz unterzubringen, um ein harmonisches Weltbild herauszukriegen. Man hätte sich demnach die Gesellschaft als eine Art Puzzle-Spiel vorzustellen. Ein Bild ist in phantastisch verkrümmte Stücke auseinandergeschnitten und die Aufgabe besteht darin, die Stücke richtig aneinanderzupassen, damit sie sich zum Ganzen fügen.
Wenn nun ein Vater so unvernünftig ist, daß er seinen Sohn zwingen will, Advokat zu werden, wo der Sohn sich unwiderstehlich zur Dichterlausbahn gedrängt fühlt, oder wenn eine Tante aus einem Neffen einen Herrn Pastor machen möchte, wo der Neffe seiner Kusine schon auf Quarta die Ehe versprochen hat, so greist das Berufsamt ein und sagt: Erlauben Sie, hier hat der liebe Herrgott von vornherein anders bestimmt, auf Grund einer gründlichen Untersuchung, die sich auf drei Dutzend Fragen erstreckte, hat sich herausgestellt, daß noch logischem Denken, Formengedächtnis, Zahlengedächtnis, Sinn für lineare Masse, Sehschärfe, Sinn für Farben und Helligkeiten, nach Handdruck und Handgeschicklichkeit, Konzentration, Einfach- und Mehrfachreaktion, Arbeitskraft, Systematik, Tempo der Auffassung, Beobachtungsgabe, Raumanschauung, technischem Verständnis und dergleichen jener junge Mann sich unbedingt zum Dichter, dieser aber zum Ehemann eignet.
Es wird also schließlich, in Preußen jedenfalls, so weit kommen, daß jeder Mensch den Platz einnimmt, der ihm im Schöpfungsplan zugewiesen wurde. Es werden keine Mißgriffe mehr vorkommen, wie sie bisher von Zeit zu Zeit die Welt ins Unglück gestürzt haben. Wer zum Beispiel ein Jugendbildnis des Napoleon Bonaparte, meinetwegen aus den Schuljahren von Brienne aufmerksam ansieht, wird sich der Überzeugung nicht verschließen, daß dieser junge Mann in seinem Habitus viel mehr Qualifikation für die Schneider- als für die Imperatorenlaufbahn verriet. Hätte auf Korsika ein Berufsamt bestanden, so wäre Napoleon Buonaparte Schneider geworden, statt daß er so, ohne behördliche Wegweisung, General und Konsul und Kaiser wurde und Jahre lang die sauberen Blumenbeete der Geschichte als unbotmäßiger Kraftmensch zertrampelte. Ordnung muß sein, und es ist zu hoffen, daß in nicht zu ferner Zukunft die Berufsberatung, von der oben die Rede geht, obligatorischen Charakter bekommen wird und daß Berufsverirrungen, wie sie auch in Preußen vorgekommen sind, in Zukunft vermieden werden. Hätten Leute, die einen besondern Beruf zum Beispiel zum Holzsägen in sich verspüren, sich diesem von Anbeginn gewidmet, statt zuerst auf einem Kaiserthron in Gottesgnadentum zu dilettieren, so wäre heute in der Welt wahrscheinlich Vieles besser.