Es ist merkwürdig, wie sich manche Leute nicht zu helfen wissen.
Zu ihnen gehört Herr Lehrer Kieffer aus Hamm, dessen trauriger Fall den städtischen Gemeinderat in seiner letzten Sitzung beschäftigt hat.
Herr Kieffer hat 42 Dienstjahre als Landlehrer, davon 35 in Hamm. In diesen 42 Jahren, sagte Herr Godchaux, hat er alles in allem nur acht Tage wegen Krankheit gefehlt.
Sehen Sie, das mußte schon auffallen. Ein Beamter, der während einer Laufbahn von 42 Jahren nur acht Tage Krankheitsurlaub hatte und sich dessen auch noch rühmt, das ist ein Unikum.
Indes, Herr Kieffer fand jetzt, daß er lange genug Schule gehalten hatte. Er war amtsmüde, wie es sein Recht war. Er sagte seinen Freunden und dem Herrn Schulinspektor, dies sei sein letztes Jahr, im Herbst werde er abgehen. Er blickt auf Geschlechterreihen von Zeitgenossen, die alle durch seine Hände gegangen sind und bei ihm das i und was dazu gehört gelernt haben. Er erhebt nicht den Anspruch, wie Bismarck in den Sielen zu sterben, und er macht schon Pläne, wie er im kommenden Jahr seine Muße ausnutzen will. So um den 1. Juli herum denkt er, nun ist es Zeit, das Entlassungsgesuch zu schreiben, damit es die Schulkommisston, wenn sie über die Einrichtung des nächstjährigen Betriebs beraten wird, schwarz auf weiß hat. So wird am 4. Juli glücklich das folgenschwere Schriftstück abgesandt, der Herr Schulinspektor findet alles in Ordnung und rechnet mit der Entlassung des Herrn Kieffer als einer vollendeten Tatsache.
Die Unseligen! Sie hatten vergessen, daß im Gesetz steht, die Lehrerentlassungen müssen vor dem 1. Juli erteilt und nachgesucht werden. Dem Herrn Bürgermeister schwebt die gesetzwidrige Verspätung als etwas derart Verwerfliches vor, daß in seiner Phantasie aus der vier eine Unglücksdreizehn wird, Herr Kieffer, sagt er im Gemeinderat, hat horribile dictu seine Entlassung erst am 13., statt vor dem 1. Juli nachgesucht. Und schaudernd lehnt der Gemeinderat die Entlassung ab. Herr Godchaux stellt den Irrtum fest und meint, nun sei alles in Ordnung und der Ablehnungsbeschluß könne zurückgenommen werden. Hat der eine Ahnung! Die Herren vom Schöffenrat besteigen das Prinzip und reiten es in allen Gangarten der hohen Schule. Wohin kämen wir, wenn wir das Prinzip aufgäben, daß jedes Entlassungsgesuch vor dem 1. Juli eingereicht werden muß! Dann könnten nachlässige Menschen noch im August mit ihren Entlassungsgesuchen nachhumpeln und jeder regelmäßige Schulbetrieb wäre unmöglich gemacht. Die Hauptsache ist gar nicht, daß das Gesuch rechtzeitig vorliegt, das heißt vor der Sitzung, in der die Schulkommission über die Schulorganisation berät, sondern die Hauptsache ist, daß es vor dem 1. Juli datiert, wie im Gesetz vorgeschrieben.
Und da war es, wo sich Herr Kieffer-Hamm nicht zu helfen wußte. Er hätte am 4. Juli ruhig sein Gesuch vom 30. Juni datieren und zur Post geben sollen. Es wäre am 5. Juli an den Herrn Bürgermeister gelangt. Aber Herr Kieffer hätte sagen können: Der 1. Juli war ein Sonntag, und mit der verdammten Sonntagsruhe in der Post weiß man nie, was aus Briefen wird, die man der Post über Sonntag anvertraut. Und es wäre alles in schönster Ordnung gewesen.
Aber was kann man von einem Menschen erwarten, der in einer Laufbahn von 42 Jahren nur acht Tage Krankheitsurlaub hatte!