Original

23. September 1923

Seit ein paar Tagen fegt das Jahr mit seinem Herbstbesen aus Sturm und Regen die Sommerfrischler heim. An den Stätten, wo noch vor vierzehn Tagen der Frohsinn des Ausgespanntseins lachte, ist es öde und fahl geworden, wie morgens hinter leeren Theaterkulissen. Von den Binsenwahrheiten, die die Dichter aller Zeiten in Reime gebracht haben, ist keine so wahr, wie des Trompeters von Säkkingen sentimental-meteorologische Feststellung: Zum Abschiednehmen just das rechte Wetter.

Da wären wir also wieder.

Es ist ein eigen Ding um die Einrichtung, die sie Ferien oder Urlaub nennen.

Als wir vor langen Jahren im Abitur saßen, bekamen wir als deutschen Prüfungsaufsatz. Wert und Segen der Arbeit.

Ich ging mit mir zurat, ob ich das Thema nicht umkehren und das Arbeitenmüssen als eine Folge der Erbsünde, des Fluchs hinstellen sollte, mit dem der Herrgott Adam und Eva damals aus dem Paradies gejagt haben soll. Ich bedachte indes die Folgen und hielt mich an die landläufige Moral.

Trotzdem: Das Paradies, in dem unsere Stammeltern nichts zu tun brauchten und sich in den Tag und in die Nacht hinein konnten leben lassen, ohne an den Bäcker und Metzger, Schuster, Schneider, Hausherrn, Schätzungssammler usw. Tag und Nacht denken zu müssen, - das Paradies war der ideale Ferienzustand. Man sollte darum sich auch heute wieder an die Auffassung gewöhnen, daß die Ferien das Normale, die übrige Zeit im Jahr aber die Ausnahme sind. Nicht daß ich meine Mitbürger zur Faulheit anreizen möchte, nein, diese Auffassung von den Ferien soll sie nur dazu anleiten, diese richtig zu verbringen, indem sie sie nicht als das Außergewöhnliche mit einer gewissen nervösen Hast und Aufgeregtheit genießen, sondern sich ihrer freuen wie eines kurzen Besuchs in einer längst verlassenen paradiesischen Heimat.

Nach dem Paradies, wo die Ferien das ganze Jahr dauerten, kam die umgekehrte Zeit, wo das ganze Jahr ohne Unterlaß gearbeitet wurde. „Im Schweiße deines Angesichts!“ Und: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“

Mit der fortschreitenden Organisation des Staates brach sich die Ansicht Bahn, daß der Mensch nicht ohne Unterlaß im Rad gehen kann, und der Urlaub bekam amtlichen Charakter. Heute ist es so weit, daß dies nicht mehr bloß oberhalb der Grenze gilt, die den Herrn vom Max trennt, immer weiter greift die Überzeugung Platz, daß jedem Arbeitenden im Jahr eine Ruhezeit gebührt. Die Bestrebungen gehen nach einer Norm von drei Wochen, soviel, wie die Ärzte für eine Purgierkur vorschreiben. Nur die Richter und Professoren haben zwei Monate Ferien. Das ist so eingerichtet nicht aus Rücksicht auf sie selber, sondern weil aus naheliegenden Gründen den Kindern und den Prozessierenden eine längere Schonzeit gesichert werden soll.

Mit den Ferien geht es vielen, wie mit einem Wechsel in der Kost. Von dem schweren Rauchfleisch mit Kraut und Kartoffeln, von dem man am Ende den Skorbut bekommen kann, gehen sie über zu zartem Geflügel und allerhand Delikatessen. Aber auch an Hühnerfleisch kann man sich übernehmen, und so löst eine Indigestion die andere ab, und mancher hat sich in den Ferien ärger abgehetzt, als auf seinem Büro. Weil er das Wesen der Ferien nicht erfaßt hat. Das Wesen der Ferien ist aber, daß sie Dir gestatten, einmal wieder ein paar Wochen lang Du selbst zu sein. Das bist du nicht, indem Du Dich Tage lang mit Schiebern und Knoten in einen Zug quetschest, um Dich an eine fremde Lebensweise zu verlieren, an Orten, wo für den Bazillus Mensch ein künstlicher Nährboden bereitet ist, wo Du mit tausend andern wie auf einer fetten Bouillon wucherst, mit Massenfutter gespeist, in das der Stirnschweiß der Kellner tropfte, von früh bis spät bedacht, wie Du Dich in die andern richtest, die Dir nichts sind, auf Bekanntschaften angewiesen, die Deine Freunde zuhaus nicht wert sind, und schließlich zum Handwerker, zum Massenarbeiter des Feriengenusses geworden, statt zum Künstler. Wo bist Du an solchen Orten je einem der Menschen begegnet, die darauf angewiesen, sind, aus ihrem Erleben den Rohstoff ihrer Kunst zu machen? Solche verabscheuen in punkto Ferien die Konfektion, lassen sich ihre freie Zeit auf Maß machen und leben darin ein gesteigertes Leben, weil sie darauf aus sind, in allervollstem Maße wieder einmal sie selbst zu sein.

Freilich dazu muß man gelegentlich auch allein sein können, gerne und glücklich allein.

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