Pulvermühl ist um eine Sehenswürdigkeit reicher. Seine Hauptsehenswürdigkeit war bisher, wenigstens für die Schriftgelehrten, das in seinem Namen, um das lange gestritten wurde. Sollte man schreiben Pulfermühl oder Pulvermühl? (Siehe auch Feldgen und Feldchen.) Ich weiß heute noch nicht, wer gesiegt hat und ob sie drunten im Tale das Pulfer oder das Pulver erfunden haben.
Die neue Sehenswürdigkeit besteht in einer epochemachenden Reglementsübertretung. Sie hatten bisher in Pulvermühl gegründete Hoffnung auf Einbeziehung in den Weltverkehr. Herr Stübben hatte gefunden, daß eine Straße von Pulvermühl das Zeug zu einem Boulevard besaß und die Pulvermühler (oder Pulvermüller?) sahen schon im Traum einen Großstadtverkehr sich durch ihre Ortschaft wälzen. Durch die neue großluxemburgische Bauordnung war dafür gesorgt, daß niemand dem jungen Boulevard durch Nichtbeachtung der Bauflucht in der Wiege schon den Garaus machte.
Da kam eines Tages ein Mann, dem die Bauordnung Hekuba war und baute einen Festsaal an das Baulevard der Zukunft. Unter normalen Verhältnissen hätte sich jeder dieses neuen Festsaales gefreut, denn er war geeignet, das Niveau von Pulvermühl um mehrere Grad der Großstadt entgegen zu heben.
Aber der unglückselige Festsaal stand um einen Meter über die Fluchtlinie heraus, die für das Zukunftsboulevard vorgesehen war.
Das durften die Hüter der Ordnung nicht dulden. Sie rückten dem Festsaalbesitzer auf die Bude und wollten ihn zwingen, den Bau abzutragen. Schließlich ließen sie jedoch Gnade für Recht ergehen und sagten, der Saal dürfe stehen bleiben, aber unter keiner Bedingung dürfe noch ein Stockwerk darauf gesetzt werden.
Es steht dahin, ob der Mann überhaupt daran gedacht hatte, noch einen Stock darauf zu setzen, oder ob er erst durch das Verbot der Verwaltung auf die Idee kam. Kurzum, er baute weiter. Aber nun brach ein höllisches Donnerwetter über ihn los. Was ihm denn einsalle, trotz dem behördlichen Verbot höher zu bauen, und er solle unverzüglich die Maurer heimschicken, sonst könnte ihm etwas passieren usw.
Erstens: Nachdem der Mann die Bauflucht des künftigen Boulevards um einen Meter verkorkst hatte, war das Unglück geschehen. Ob er nun noch ein oder zwei oder sieben Stockwerke darauf setzte, die Bauslucht wurde dadurch nicht krummer und buckliger als sie es schon durch den Festsaal zu ebener war.
Zweitens: Der Mann war entweder ein großer Frechdachs oder ein großer Philosoph und Menschenkenner, oder wahrscheinlich beides. Er sagte sich: Sie können mich droben gern haben, ich baue weiter. Denn nachdem sie mein Erdgeschoß verdaut haben, können ihnen die übrigen Stockwerke keine Beschwerden mehr machen. Und sie wissen ganz genau, was ihnen blüht, wenn sie mich nachher zwingen, meinen ersten und zweiten Stock abzutragen. Dann fällt ganz Pulvermühl, ganz Luxemburg, das ganze Land über sie her: Was ihnen denn einfällt, einen Mann in die rechtschaffenen Ausnützung seines Besitzes mit papiernen Chikanen zu belästigen! Ein jeder wird dazu sagen, daß er einmal in denselben Fall kommen kann und im voraus gegen die Einschränkung protestieren. Und sie werden droben klein beigeben.
Soweit hat der Mann Recht. Aber die Medaille hat eine Kehrseite. Zwingt nämlich die Verwaltung ihn nicht, die reglementswidrig errichteten Teile seines Baues abzutragen, so fallen ganz genau dieselben Leute über sie her und sagen: So’n Skandal, daß dieser Mensch, dieser Kerl, dieser unverschämte Ku ungestraft dem Gesetz auf die Nase machen darf. Stellt da einen Bau mitten in die Straße, macht die normale Entwicklung der Ortschaft für ewige Zeiten unmöglich, spottet aller gesetzlichen Autorität, darf sich das alles erlauben, weil er bei Gott weiß welchen hohen Herren und Gott weiß warum einen Stein im Brett hat!
Jawohl, es ist heutzutage nicht leicht, die Macht in Händen haben und die Reglemente zur Ausführung bringen müssen. Soll so ein Reglement eine Dampfwalze sein, die rücksichtslos jedem die Hühneraugen zerquetscht, wenn er die Zehen zu weit streckt? Oder soll es ein zahmer Elefant sein, der stampft, wo es niemanden weh tut und seinen Weg zwischen rohen Eiern hindurch findet, ohne eines zerbrechen?
Der Klügste gibt nach, freilich. Aber der Stärkere siegt, auch wenn es sich um ein Baureglement handelt. Wenn die Wurzel stärker ist, als die Mauer, drücken die Wurzel die Mauer ein.