Original

27. September 1923

Die Großstadt lebt von Gegensätzen.

Das großstädtische Gesetz vom Maximum bedingt als Gegenpol das Gesetz vom Minimum.

In dem Maße, wie sich in einer Stadt die Gegensätze zu spannen beginnen, nähert sie sich dem Tempo der Großstadt.

Sie können Aehnliches schon in Luxemburg erleben, wenn Sie wollen. Es kann Ihnen an einem Abend vorkommen, daß Sie zu vorgerückter Stunde in einem Restaurant einkehren, das ich nicht zu nennen brauche. Es ist um die Stunde, wo der Rauch der Zigarren, Zigaretten und Pfeifen so dicht wird, wie die Abend- nebel in den Wiesen beim Schnepfenstrich. Paar@ Gruppen kommen aus dem Kino und spähe@ Plätzen aus, auf der Zunge schon die Worte, @ denen sie rasch den Humpen und den späten Ha@ pappen bestellen wollen. Kartenspieler sitzen in @ Eifer weltfern eingesponnen, an einem Tisch klap@ die Würfel zum Triktrak, ein schwer betrun@ Biedermann von auswärts, der Stock und U@ zieher nachschleppt, lallt und stolpert von Tisch@ Tisch, bis er, nicht ohne Schwierigkeiten, neben ei@ zufällig entdeckten Bekannten vor Anker geht, de@ gütig in Schlaf redet. Ein Orchester von drei M@ Klavier, Geige, Cello, macht gerade Pause. Dicht@ neben tafelt eine fröhliche Gesellschaft, die den @ vierspieler zu allerhand Ulk herauszufordern sch@ Er reagiert darauf mit kurzen Bemerkungen, di@ ohne genaue Adresse sich sozusagen übers Kinn @ untertropfen läßt. Er ist eine Imitation von M@ Gorki, zwei Drittel Lebensgröße. Selbst bei der@ fühlvollsten Musik öffnet er ab und zu seinem tr@ nen Humor seitwärts ein Sicherheitsventil. Von@ ner Klavierkunst erzählen sie große Dinge. Er s@ die zweite Rhapsodie von Liszt auswendig. Jetzt @ kündet einer: Fritz als Cellist! Und er bleibt von @ klassischen Virtuosenmätzchen keinen Schwung @ Mähne, kein Zittern der Hand schuldig, er legt@ unter dem wiehernden Lachen seiner Bewunderer@ Cello wie ein Schoßhündchen über die Kniee und @ zupft ihm komische Brummtöne. Oder er kommt@ Paganini und macht die ergötzliche Karikatur e@ geigebeflissenen Lehrerseminaristen, der seine S@ in falsche Töne gießt.

Der Wirt wandelt, eine weiße Dhalia im K@ loch, mit Genugtuung zwischen den vollbese@ Tischen ab und zu, die Kellner reichen fortwähr@ neue Füllung dar, es ist Hochbetrieb.

Dann kommt der Gegensatz. Auf dem Hinterg@ dieser bürgerlich ulkigen Hofbräuhausatmosp@ geschieht auf auf einmal etwas wundervoll Fei@ Ein Gast hat beim Geiger die Humoreske von D@ bestellt. Erst scheint es nicht zu gehen, weil noch @ Wünsche vorher zu erledigen sind. Dann geht es @ Weil die Musiker offenbar selber Spaß daran ha@ Und mit einemmal hüpfen die ersten Takte die@ reizenden Tondichtung dem Geiger unter den Fing@ heraus in den Tabakrauch, in den Lärm der pl@ dernden, spielenden, lachenden Menge, ziehen sch@ mernd, leuchtend, glänzend durch den Bierdunst, @ Goldadern durch plumpes Erdreich, und viele h@ auf zu plaudern und zu lachen und lauschen dem @ nen Spiel des vorzüglichen Geigers bis zu Ende @ klatschen Beifall.

Das war der Gegensatz, diese fünf Minuten inn@ Kunsterlebens mitten im behäbigen Genuß der ab@ lichen Abgelöstheit.

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    Katalognummer BW-AK-011-2468