Original

2. Oktober 1923

Ihre verlockende Schilderung, Gnädigste, der Modeschau bei Brüssel’s Tailors, läßt es mich innig bedauern, daß ich das seltene Schauspiel nicht an Ihrer Seite genossen habe. Wie sich in Ihrem Munde das alles belebte, die graziösen Mannequins, die kostbaren Stoffe, das Schimmern der Seide, der satte Farben-Alto der Samtgewebe, der Adel des Faltenwurfs, die Harmonie der Gebärden ........ wirklich, ich empfinde tief den Verlust. Zumal ich bedenke, daß ich zur selben Stunde eine an einer gesplißten Bambusrute befestigte Schnur, an deren. Ende sich zwei. Yards gesponnenen Katzendarms und eine künstliche Fliege mit einem Haken befanden, stundenlang in kurzen Zwischenräumen in einen öslinger Bach schleuderte, nur weil die Sage geht, daß früher einmal von Zeit zu Zeit eine Forelle sich fand, die diese künstliche Fliege für eine natürliche hielt und sich darauf festbiß. Es wird sich wohl auch hier wieder um eine der vielen unkontrollierbaren Aufschneidereien handeln, mit denen die laudatores temporis acti uns den Mund nach süßen Vergangenheiten wollen wässern machen. Kurzum, das Resultat war, wie gesagt, derart, daß ich immer tiefer bedaure, am Sonntag nicht mit Ihnen diese Revue der Mode abgenommen zu haben.

Als Kulturmensch weiß man, daß Kunst immer schöner ist, als Dilettantismus, und daß ein Instrument, von einem Berufskünstler gespielt, immer reiner, voller und edler klingt, als wenn sich ein Amateur darauf versucht. So sieht man ein schönes Kleid auch lieber von einer jungen Dame getragen, die aus Beruf hübsch und gut gewachsen ist und sich ästhetisch bewegt, als von einer Durchschnittsjungfrau, die zu einem solchen Kleid nur deshalb gekommen ist, weil ihr Papa das nötige Geld hatte, es ihr zu kaufen. Sie haben recht, eine Toilette, mit Anmut und Einsicht getragen, ist ein Instrument, von einem Künstler gespielt. Es ist, als hätte der Stoff Verständnis dafür, was mit ihm auf diesem Körper bezweckt wird. Er legt sich in geschmeidige Falten oder spannt sich, wo es grade sein muß, um Eindruck zu machen. Er ist ein Verbündeter, ein Freund, ein verliebter Sklave, der nur glücklich ist, wenn seine schöne Herrin bewundert wird. Er preist ihre Reize, betont sie, macht darauf aufmerksam, besteht hartnäckig darauf, wenn sie das erste Mal nicht bemerkt wurden, oder spielt damit schelmisch „Kuckuck“, wenn gierige Blicke zuviel davon haschen wollen.

Geraten aber dieselbe Form und derselbe Stoff an eine Herrin, die ihnen nicht sympathisch ist, zu der sie kein Verhältnis haben, die sie nicht verstehen und nicht zu behandeln weiß, so werden sie an ihr zu Verrätern, legen sich ihr überzwerch in den Weg zeigen das Unvorteilhafte und verstecken das Reizende - sind, wie Mißtöne, die ein Stümper auf dem Klavier greift. Wie oft haben wir es erlebt, Gnädigste, daß eine Dame sich in Brüssel oder Paris ein Kleid gekauft hatte, das dort von allen bewundert worden war und in dem sie hier, wenn sie darin auf den Ball ging, keine Wirkung machte, oder eine Wirkung, die war, wie etwas, das unter den Zähnen knirscht. Sie kennen Fälle, Gnädigste, Sie sind zu diskret, darauf anzuspielen, aber ich sehe immer an dem Zucken Ihrer Mundwinkel, daß Sie denken, wie ich. Sie können es beurteilen, denn Sie sind die Dilettantin, die die Künstlerinnen beschämt.

Haben Sie schon versucht, sich in die Seele eines solchen Mannequins zu versetzen? Wie glücklich muß so ein junges Ding sein, wenn es sich abends in seinem trauten Kämmerlein den Schlafrock aus Wollbiber anzieht, müde der raffinierten Toilettekünste, und sich mit einem guten Buch in der Lampe trautem Dämmerschein zur Ruhe hinsetzt!

Wie meinten Sie?

A propos, wie komisch, dies Wort Mannequin von dem deutschen oder vlämischen Männeke! Der Mannequin, seinem Beruf nach ein Ausbund von Frauenreizen! Und Männeke! Das Gegenteil. Geschrumpfte, drollige, impotente, verspottete und verprügelte Mannheit.

Das nächste Mal, Gnädigste, werde ich Sie unbedingt auf die Modeschau begleiten.

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  • Letter to reader
KatalognummerBW-AK-011-2472